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Belarus: Protestantische Kirche liquidiert

28. Dezember 2023

Das oberste Gericht in Belarus hat am 12. Dezember entschieden, die protestantische Kirche Neues Leben zu liquidieren. Damit hat es ein Urteil des Stadtgerichts von Minsk vom 17. Oktober bestätigt, das nun endgültig rechtskräftig ist. Das Vorgehen gegen die Pfingstkirche reicht bis ins Jahr 2005 zurück, als die Behörden ihr den Status als Religionsgemeinschaft aberkannten und die Nutzung ihrer Immobilie entzogen, wobei die Gemeinschaft das Gebäude noch bis 2021 nutzen konnte.

Während der Massenproteste gegen die gefälschten Präsidentenwahlen in Belarus 2020 verurteilte Neues Leben offen die massenhaften Verhaftungen, Gewalt, Brutalität und Folter seitens des Staats. Danach wurde das Vorgehen gegen die Kirche verstärkt wieder aufgegriffen. Im Januar 2021 wurde der Kirche ihr Gebetshaus gewaltsam weggenommen, danach führte die Gemeinde auf dem angrenzenden Parkplatz Gottesdienste durch. Im September 2022 wurde der Pastor der Kirche Vjatscheslav Gontscharenko verhaftet und gebüßt. Die Kirche wurde gezwungen, keine öffentlichen Versammlungen mehr durchzuführen. Im Juni 2023 wurde das Gebäude der Kirche abgerissen und ihre Website für sechs Monate blockiert. Im August 2023 durchsuchte die Polizei das Haus von Gontscharenko und verhaftete ihn und seinen Schwiegersohn, später wurden sie zu mehrtägigen administrativen Haftstrafen verurteilt. Die Onlinepublikationen von Neues Leben wurden als „extremistisch“ eingestuft und im September 2023 wurde in Minsk der Prozess zur Liquidierung der Kirche aufgrund ihrer „extremistischen Aktivitäten“ eingeleitet.

Auch der US-Bericht über den Zustand der Religionsfreiheit in Belarus geht auf die Situation der Kirche Neues Leben ein. Der im Dezember erschienene Bericht für das Jahr 2023 bezeichnet Neues Leben als eine der am stärksten unterdrückten Religionsgemeinschaften in Belarus. Der Bericht nennt auch Mitglieder anderer protestantischer Kirchen, die wegen ihrer religiösen Aktivitäten verfolgt wurden. Einschränkungen bei der Nutzung von Gebäuden in staatlichem Besitz sowie Gebühren hat insbesondere die römisch-katholische Kirche als Druckversuch auf ihre Gemeinschaft aufgefasst. Besonders erwähnt wird die Kirche der Hl. Simeon und Helena in Minsk, bekannt als die Rote Kirche, die seit einem Brand vom Staat zur Reparatur geschlossen ist. Allerdings seien die Schäden gering, einen Zeitplan für die Arbeiten gibt es nicht. Viele vermuteten, dass es sich um eine Strafe gegen die Kirche handle, weil 2020 Demonstrierende in ihr vor der Polizei Zuflucht gesucht hatten.

Laut dem US-Bericht sind seit den Protesten 2020 mindestens 60 religiöse Anführer verschiedener Glaubensgemeinschaften verhaftet, gebüßt, ins Gefängnis geworfen, aus ihren Positionen gedrängt oder ins Exil getrieben worden. Dazu gehören der orthodoxe Priester Uladzislau Bahamolnikau, der Ende 2022 mehr als drei Monate unter sehr schlechten Bedingungen in Untersuchungshaft verbrachte, und der orthodoxe Priester Dionisij Korostelev, der 2023 verhaftet wurde, weil er für die ukrainischen Streitkräfte gebetet hatte. Zudem bemängelt der Bericht, dass das Recht auf Religionsfreiheit der politischen Gefangenen, die nicht Geistliche sind, verletzt werde. Ihnen werde der Zugang zu religiösen Materialien und die Teilnahme an Gottesdiensten verwehrt.

Insgesamt spricht der US-Bericht von einer stetigen Verschlechterung der Religionsfreiheit in Belarus. Der staatliche Druck auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens mache auch vor den Religionsgemeinschaften nicht halt. Ein Instrument dazu sei das neue Religionsgesetz, das ein „offensichtlicher Versuch“ sei, „die Kontrolle über die Religionsgemeinschaften zu festigen“. Die Religionsgemeinschaften müssten sich entsprechend dem neuen Gesetz neu registrieren und dazu die persönlichen Daten von mindestens 20 volljährigen Mitgliedern – darunter deren Name, Telefonnummer sowie Privat- und Arbeitsadresse – angeben. Angesichts der Repressionen gegen die Zivilbevölkerung wird ein Missbrauch dieser Angaben befürchtet. Laut dem Bericht demonstriert die geplante Anpassung des Religionsgesetzes die Absicht der Regierung, sich einen umfassenderen Rechtsrahmen zu geben, um das religiöse Leben zu regulieren und Druck auf religiöse Personen und Gruppen auszuüben. Ein weiteres, aggressiv eingesetztes Instrument sei der Vorwurf des „Extremismus“. So werden religiöse Literatur, Websites und Kanäle in den sozialen Medien sowie andere religiöse Inhalte immer wieder als extremistisch eingestuft und verboten.

Am 14. Dezember hat das Europäische Parlament eine Resolution aufgrund des unbekannten Status von Mikalai Statkevitsch, einem belarusischen Oppositionspolitiker, und von Übergriffen auf Familienmitglieder von belarusischen Politikern und Aktivistinnen verabschiedet. Statkevitsch ist in einem Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft und seinen Anwälten und Angehörigen werden seit über 300 Tagen Informationen und der Kontakt zu ihm verwehrt. Zudem verweist die Resolution auf weitere politische Gefangene, die schlechten Haftbedingungen und Repressionen gegen Oppositionelle. Das Europäische Parlament fordert unter anderem die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen in Belarus und verurteilt scharf „ungerechtfertigte, politisch motivierte Urteile und anhaltende Repression gegen belarusische demokratische Kräfte, Zivilgesellschaft, Bürgerrechtler, Gewerkschafterinnen, Journalisten, Geistliche, politische Aktivistinnen und ihre Familienangehörigen“. Die EU-Mitgliedsstaaten ruft das Europäische Parlament auf, die Betroffenen zu unterstützen, Völkerrechtsverletzungen zu dokumentieren und zu ahnden sowie sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass das Lukaschenka-Regime zur Rechenschaft gezogen wird. (NÖK)

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