Skip to main content

Belarus: Neues repressives Religionsgesetz in erster Lesung angenommen

16. November 2023

Das belarusische Parlament hat am 11. Oktober ein neues Gesetz „Über Änderungen der Gesetzes zu Fragen der Tätigkeit religiöser Organisationen“ in erster Lesung angenommen. Lokale Menschenrechtsorganisationen, religiöse Organisationen wie auch drei UN-Sonderberichterstatter kritisieren das neue Gesetz.

Die UN-Sonderberichterstatter kritisierten in einem Brief an den belarusischen Präsidenten Alexander Lukaschenka vom 28. August 2023 mehrere Punkte: Neben der bisherigen Registrationspflicht für religiöse Organisationen soll neu auch die Nichtregistrierung verboten und somit zu einem Straftatbestand werden. Alle religiösen Organisationen müssen sich bei Annahme der Gesetzesänderungen neu registrieren lassen. Zudem werden die Registrierungsanforderungen verschärft und die einzuhaltenden Fristen verkürzt. Die Erziehungsinhalte von Sonntagsschulen dürfen der „Ideologie der universell anerkannten traditionellen Werte des belarusischen Staates“ nicht widersprechen. Über die Aktivitäten der religiösen Bildung für Kinder soll jährlich den zuständigen Behörden berichtet werden.

Religiöse Literatur, Audio- und Videomaterialien dürfen der staatlichen „Ideologie nicht widersprechen oder Propaganda für Krieg, sozialen, nationalen, religiösen und rassischen Hass und andere extremistische Aktivitäten“ enthalten. Hierzu müssen sie der staatlichen Verwaltung für religiöse Angelegenheiten vorgelegt und die Verbreitung von dieser gutgeheißen werden. Die staatliche Verwaltung für religiöse Angelegenheiten darf die Aktivitäten religiöser Organisationen beobachten und mittels Inspektionen kontrollieren. Nichteingehen auf durch die Behörden beanstandeten Gesetzesverletzungen kann ein Verbot der religiösen Organisation nach sich ziehen. Die Gründe für die gesetzliche Grundlage, mittels derer der Staat religiöse Organisationen auflösen kann, werden in dem neuen Religionsgesetz erweitert. Die entsprechenden Formulierungen wie „Diskreditierung der Staatsmacht der Republik Belarus“ sind vage und unbestimmt formuliert. Außerdem soll religiöse Wohltätigkeit auf soziale Dienste „für ältere Bürger, behinderte Menschen“ und auf „die soziale Rehabilitation für Suchtkranke und Kinderheime“ beschränkt werden. Die UN-Sonderberichterstatter kamen zum Schluss, dass das neue Gesetz in dieser Form internationalen Standards nicht entspricht.

Leiter von religiösen Organisationen kritisieren vor allem die geforderte Mindestzahl von 20 Personen zur Registrierung einer Organisation, was vor allem auf dem Land oft nicht möglich sei. Beobachter weisen zudem darauf hin, dass bereits die geforderte Neuregistrierung zur Liquidierung zahlreicher religiöser Organisationen führen werde. Das oppositionelle Portal Zerkalo befürchtet aufgrund des am 11. Oktober verabschiedeten Gesetzestextes auch neue Verbote politischer Betätigung (z.B. Parteitätigkeit und -finanzierung) sowie eine Aufweichung des Beichtgeheimnisses. Zudem werde „missionarische Tätigkeit“ oder Verteilung von Literatur in Privatwohnungen, Wohnheimen und im öffentlichen Verkehr verboten.

Befürchtungen, dass Gottesdienste in Sprachen nationaler Minderheiten wie Polnisch verboten würden, widersprach Alexander Rumak, Bevollmächtigter für Angelegenheiten der Religionen und Nationalitäten, anlässlich eines Runden Tischs, der am 3. November im belarusischen Parlament zum Thema stattfand. Daran nahm auch Metropolit Veniamin (Tupeko), das Oberhaupt der Belarusischen Orthodoxen Kirche (BOK), teil. Er betonte, dass die Vorschläge der BOK bei der Ausarbeitung des Gesetzes auf die Effizienz der „geistig-moralischen Tätigkeit und des Sozialdienstes“ ausgerichtet gewesen und berücksichtigt worden seien. Der belarusische Staat und die Kirche würden im Interesse des Volkes zusammenarbeiten.

Neu anerkennt das Religionsgesetz die besondere Rolle der BOK bei der historischen Entwicklung des belarusischen Volkes, wie auch die Rolle der römisch-katholischen Kirche auf dem Gebiet von Belarus sowie der religiösen Organisationen der Evangelisch-Lutherischen Kirche, des Judaismus und des Islam.

Präsident Alexander Lukaschenka hatte Änderungen der Gesetzesgrundlage für die Gründung und die Aktivitäten von religiösen Organisationen per Dekret vom 30. Dezember 2022 angeordnet. Das neue Religionsgesetz soll das bereits restriktive Religionsgesetz von 2002 ersetzen. Ein Termin für die zweite Lesung der Gesetzesänderungen wurde noch nicht festgelegt. In Belarus werden seit 2020 immer mehr Menschen aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen verfolgt (vgl. Monitoring seit 2020).

Regula Zwahlen