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Russland: Patriarch Kirill spricht von „metaphysischem Krieg“

10. März 2022

In seiner Predigt vom 6. März hat der russische Patriarch Kirill den Krieg in der Ukraine indirekt mit dem Schutz der Gläubigen vor „Gay-Pride-Paraden“ gerechtfertigt. Die Predigt hielt der Patriarch nach der Liturgiefeier in der Moskauer Christ-Erlöster-Kathedrale am Sonntag vor dem Beginn der orthodoxen Fastenzeit vor Ostern. Dieser Tag gilt in der Orthodoxie als Sonntag der Vergebung, an dem die Gläubigen einander um Vergebung bitten und einander verzeihen.

Seit acht Jahren werde versucht, im Donbass „das Bestehende“ zu zerstören, behauptete Patriarch Kirill in seiner Predigt. Im Donbass gebe es eine „grundsätzliche Ablehnung sogenannter Werte, die heute von denen angeboten werden, die die Weltmacht beanspruchen“. Es gebe einen „Loyalitätstest“ gegenüber diesen Mächten, „eine Art Passierschein in diese ‚glückliche‘ Welt, eine Welt des exzessiven Konsums, eine Welt der scheinbaren ‚Freiheit‘“. Dieser Test sei „sehr einfach und gleichzeitig schrecklich – es ist die Gay-Parade“. Menschen und Länder, die sich der Forderung nach einer Gay-Parade verweigerten, könnten nicht in „diese Welt“ eintreten, sie blieben ihr fremd. Dabei handle es sich aber um eine Sünde, die im Alten wie im Neuen Testament von Gott verurteilt werde.

„Wenn die Menschheit anerkennt, dass die Sünde nicht ein Bruch des göttlichen Gesetzes ist, wenn die Menschheit sich damit einverstanden erklärt, dass die Sünde eine Variante des menschlichen Verhaltens ist, dann endet damit die menschliche Zivilisation“, sagte Patriarch Kirill weiter. „Und Gay-Paraden sollen zeigen, dass die Sünde eine Variante des menschlichen Verhaltens ist. Deshalb ist es, um in den Club dieser Länder aufgenommen zu werden, nötig, unbedingt eine Gay-Parade durchzuführen. Nicht ein politisches Statement ‚wir sind mit euch‘ zu machen, nicht irgendwelche Abkommen zu unterzeichnen, sondern eine Gay-Parade durchzuführen. Und wir wissen, wie sich Menschen dieser Forderung widersetzen und wie dieser Widerstand mit Gewalt unterdrückt wird.“ So werde die Sünde den Menschen mit Gewalt aufgezwungen, erklärte Kirill weiter.

Daher gehe es heute in den internationalen Beziehungen nicht nur um Politik, sondern auch um die menschliche Rettung. Heute würden „viele aus Schwäche, aus Dummheit, aus Unwissen und am öftesten aus dem Unwillen, sich zu widersetzen“, auf die falsche Seite treten. Also gehe es um eine Prüfung der Treue zu Gott. Seit acht Jahren würden die Menschen im Donbass unterdrückt und vernichtet, während die Welt schweige. Auch die Kirche leide wegen ihrer Treue zu Gott. Als Hirte rufe er die Gläubigen an diesem Sonntag der Vergebung dazu auf, Sünden und Verletzungen zu verzeihen, auch dort, wo es besonders schwer sei, wo Menschen gegeneinander Krieg führten. Aber „Vergebung ohne Gerechtigkeit ist Kapitulation und Schwäche“, warnte der Patriarch. Vergebung müsse vom Recht begleitet werden, auf der Seite des Lichts, der göttlichen Wahrheit und der göttlichen Gesetze zu stehen. Das alles zeige, das „wir in einen Kampf getreten sind, der nicht nur eine physische, sondern auch eine metaphysische Bedeutung hat“. Kirill bedauerte, dass auch orthodoxe Gläubige den Weg des geringsten Widerstands wählten und sich den Mächten der Welt unterwerfen würden. Er verurteile niemanden, aber wenn „wir sehen, dass jemand dieses [göttliche] Gesetz bricht, dann werden wir nie mit demjenigen Frieden machen“. Der Patriarch erklärte, es sei nicht möglich, nicht mit den „Brüdern im Donbass, orthodoxen Menschen zu sein – in erster Linie im Gebet“. Man müsse dafür beten, dass sie ihren Glauben behalten könnten und dass möglichst schnell Frieden einkehre. Abschließend rief er noch einmal dazu auf, zu vergeben und das eigene Leben kritisch zu reflektieren.

Am 9. März legte Patriarch Kirill in seiner Predigt nach und betonte die auch vom Staat viel beschworene Einheit der Völker von Russland und der Ukraine. Sie seien „praktisch ein Volk, verbunden durch das historische Schicksal“, was also könne sie trennen? Die Schuld am Konflikt wies Kirill erneut äußeren Akteuren zu, die Russlands Stärke fürchteten. Deshalb versuchten sie, das eine – russische – Volk zu spalten, indem sie einem Teil davon einzureden versuchten, dass es sich nicht um ein Volk handle. Es sei „abscheulich und niederträchtig“ zur Erreichung internationaler geopolitischer Ziele ein Brudervolk zu missbrauchen und es zu bewaffnen, damit es mit „seinen Brüdern gleichen Blutes und gleichen Glaubens in den Kampf tritt“. (NÖK)

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