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Orthodoxer Fundamentalismus: Führt die Pandemie zu einer Spaltung in der ROK?

24. Juli 2020

Die Rebellion eines Klosters im Ural und seine Abkehr von der Unterwerfung unter die offizielle Kirche kam sowohl für die orthodoxe Gemeinschaft als auch für die russische Gesellschaft insgesamt unerwartet. Die Aufrührer fordern die Beachtung der „Reinheit des Glaubens“, und das ist ein typischer Leitspruch beliebiger, unter anderem auch orthodoxer Fundamentalisten. Und zugleich zeigen die Aufrufe zu einem Kirchengericht über Patriarch Kirill und diejenigen Hierarchen, die sich von der Reinheit des Glaubens entfernt haben, den radikalen und ziemlich kriegerischen Charakter der Aufrührer. Doch es ist kein Zufall, dass sich diese Ereignisse vor dem Hintergrund der Pandemie abspielen.

Die Kirche reagiert langsam auf Veränderungen im Leben der Gesellschaft und verschwendet viel Kraft auf die Bewahrung der traditionellen Ordnung. Doch die Zeit der Pandemie ist zu einer seltenen Ausnahme dieser Regel geworden. Im März und April waren Patriarch Kirill und der Hl. Synod der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) gezwungen, schnell zu handeln, und trafen einer Reihe Entscheidungen, die das übliche Verhalten in der Kirche radikal veränderten. Zu den Hygienemaßnahmen gehörten Anweisungen, die Hände des Priesters und das Kreuz nach der Liturgie nicht zu küssen, den Löffel (mit dem die Kommunion gespendet wird) nach jedem Empfänger der Kommunion mit Alkohol zu desinfizieren und schließlich die Kirchen für die Gemeindemitglieder zu schließen.

Ungeachtet der Vernunft und des temporären Charakters dieser Maßnahmen reagierten relative große kirchliche Gruppen mit scharfer Ablehnung darauf. Es ist schwer zu sagen, wie zahlreich die Klöster und Gemeinden sind, die sich den synodalen Anordnungen verweigerten. In der Mehrheit der Fälle war es ein leiser, schweigsamer, aber insgesamt ziemlich erfolgreicher Widerstand gegen die kirchliche Macht. Doch die Ergebnisse dieses Widerstands sind ziemlich traurig: fast alle großen Klöster sind zu Herden der Coronavirus-Verbreitung geworden. In vielen davon war die Sterblichkeit von Priestern und Mönchen als relativ hoch. Laut Informationen des Projekts „Sobornost“ (Konziliarität), das eine Liste verstorbener Kirchendiener und Geistlicher in der ROK (in Russland, der Ukraine, Belarus und der Republik Moldau) führt, sind bis zum 18. Juni 73 Personen gestorben. Eine Statistik zu den Laien gibt es nicht, und es ist unmöglich zu bestätigen, dass sich Pilger, die Klöster mit erkrankten Mönchen besuchten, sich gerade dort angesteckt haben.

Die Ansichten dieses „Widerstands“ zu rekonstruieren, wäre ohne eine Reihe öffentlicher Auftritte kirchlicher Hierarchen und bekannter Geistlicher aus Russland, der Ukraine und Belarus, insbesondere von Metropolit Pavlo (Lebid), Erzpriester Andrej Lemeschonok, Schema-Igumen Sergij (Romanov), den Mönchen des Dreifaltigkeitskloster in Sergijev Posad, der Lavra von Potschaev und anderen, ziemlich schwierig. Ihre Aussagen erlauben es jedoch, gemeinsame ideelle Grundlagen dieses Widerstands zu erkennen. Eine Analyse ihrer Aussagen und Handlungen bringt die Frage nach dem Fundamentalismus in der Orthodoxie, seinen Ursprüngen und seinem Inhalt auf die Tagesordnung zurück.

Die Erforschung des orthodoxen Fundamentalismus ist oftmals schwierig, da es sich um einen komplizierten und sich verändernden weltanschaulichen Komplex handelt. Während der Pandemie-Zeit sind die Ansichten von sich  ideell einander nahestehenden Gemeinschaften durch drei grundlegende Elemente charakterisiert: Covid-Dissidenz, Verschwörungstheorien und magischer Fundamentalismus.

Magischer Fundamentalismus
Der Ausbruch des orthodoxen Fundamentalismus im Frühling ist bei weitem nicht der erste und natürlich nicht der letzte, dennoch unterscheidet sich der jetzige wesentlich von den vorangehenden. Die früheren Ausbrüche von Fundamentalismus waren eng mit verschiedenen ideologischen Einstellungen verbunden (die „Russische Welt“, Proteste gegen den Film „Matilda“, Widerstand gegen die ukrainische Autokephalie) und der eigentlich religiöse Faktor spielte dabei keine entscheidende Rolle. Eine wichtige Besonderheit des jetzigen Aufflammens des Fundamentalismus ist sein nicht-ideologischer, sondern höchst kirchlich-praktischer und teils theologischer Charakter. Gerade deshalb ergibt es Sinn, für seine Beschreibung einen neuen Begriff vorzuschlagen: magischer Fundamentalismus. Tatsächlich entstand er als spontane Reaktion auf die schnellen und entschlossenen Maßnahmen zur Veränderung (Modernisierung) der Gottesdienstpraxis, die die offizielle Kirche zur Verringerung des Ansteckungsrisikos in Kirchen ergriffen hatte.

Die Argumente der Fundamentalisten sind bestechend einfach und klar: in den Tagen schwerer Prüfungen müssen sich die Menschen in den Kirchen zum gemeinsamen Gebet versammeln; sich beim Empfang der Hl. Gaben anzustecken, ist unmöglich. Entsprechend können die Hl. Gaben keinerlei Bedrohung für die menschliche Gesundheit mit sich bringen. Diejenigen, die das anders sehen und den Empfehlungen der Behörden folgeleisten, demonstrieren damit ihre Kleingläubigkeit.

Die traditionelle antiwestliche und impfgegnerische Rhetorik verflicht sich nicht nur mit Verschwörungstheorien, sondern erstmals auch mit einer besonderen Unterwerfung unter eine „heilige Macht“, ausgedrückt im Sakrament der Eucharistie. Die Heiligkeit der geweihten Gaben wird dabei als Übermacht verstanden, die unmittelbar und bedingungslos alles zerstört, das einem „wirklich Gläubigen“ schaden kann. Dabei müssen alle Kirchenpraktiken unverändert bleiben und strikt befolgt werden, vor allem die Spendung der Kommunion allen Laien mit dem gleichen Löffel ohne jegliche Desinfektion. Keinesfalls darf das Feiern der Hl. Liturgie unterbrochen werden, sogar wenn die Kirche leer ist. Sogar wenn unter den Kirchendienern infizierte Diakone, Priester und Bischöfe sind. Kirchen werden erst dann geschlossen, wenn die Staatsmacht rigorose Verbote einführt und die Geistlichen sie physisch nicht mehr betreten können.

Die Position der Fundamentalisten führt letztlich zu einer Ablehnung der sozialen Verantwortung. Für sie hat die Unveränderlichkeit der Bräuche einen unvergleichlich höheren Wert als das Leben eines konkreten Menschen – des Priesters, des Mönchs und des Laien. Die Bewahrung der gewohnten Glaubenspraktiken wird zu einer höheren Tugend erhoben, der sogar Menschenleben zu opfern nicht schlimm ist.

Streng genommen stellt der Tod für einen Mönch überhaupt kein Problem dar. Aus dem „Antiken Paterikon“ wissen wir, dass ein Mönch zu sterben beschließen konnte, um seinem Starzen zu gehorchen oder sogar aus Liebe zu einem Bruder (Antikes Paterikon, Kapitel 19). Doch die Bedingung dafür war die frei getroffene Entscheidung, eine Art „informierte Absage an das Leben“. Im Fall einer Ansteckung mit dem Coronavirus kann kaum von einer solchen freien Entscheidung gesprochen werden. In ausnahmslos allen Fällen war es ein Akt des Zweifelns an der bestehenden Lebensgefahr und die Geringschätzung der Hygieneregeln. Anders liegt die Sache beim Tod eines Laien. Für ihn ist es noch mehr ein Akt des Vertrauens gegenüber seiner geistlichen Autorität. Der Laie hat sich nicht von der Welt losgesagt und trägt gegenüber seinen Verwandten und Angehörigen eine Verantwortung. Er ist vielleicht der einzige Ernährer der Familie oder für den Unterhalt von Kindern oder betagten Eltern verantwortlich. Von einem Laien einen ebenso bedingungslosen Gehorsam wie von einem Mönch zu verlangen, ist eine typische fundamentalistische Praxis.

Die fundamentalistischen Priester riefen die Menschen entgegen den Anordnungen des Hl. Synods und des gesunden Menschenverstands weiterhin in die Kirchen und spendeten ihnen die Kommunion, ohne die neuen Hygieneregeln zu beachten, und tragen im Endergebnis ihren Anteil an der Verantwortung für die Ansteckung und den Tod einer bedeutenden Zahl von Mönchen und Laien. Leider ist bisher nicht zu hören, dass das Moskauer Patriarchat die direkten Leiter der Klöster und Gemeinden, wo es zu Massenansteckungen kam, zur Verantwortung zieht

Covid-Dissidenz und Verschwörungstheorien
Unter Krisenbedingungen sollte der Anstieg verschwörungstheoretischer Stimmungen nicht auf spezifische Besonderheiten einer orthodoxen oder gar religiösen Weltsicht zurückgeführt werden. Versuche, eine sich rapide verändernde Welt mithilfe von Verschwörungstheorien zu verstehen, unternimmt auch der säkulare Teil der Gesellschaft sowohl in Russland als auch in Westeuropa und Amerika. In einer Situation, in der es keine klaren Hinweise auf den Ursprung des Übels gibt (ob es China ist, ob Amerika, ob es menschengemacht oder natürlich ist), hat die Tradition der Personifikation des Bösen ein ziemlich zufälliges Objekt gefunden: den US-Milliardär Bill Gates. Dessen Schuld und hinterhältiger Plan bestehen darin, mit einer Coronavirus-Impfung allen Bewohnern der Erde irgendeinen flüssigen Chip einzusetzen, was in der christlichen Tradition sehr leicht mit den bekannten Worten aus der Johannesoffenbarung über die Zahl des Tieres in Verbindung gebracht werden kann.

Dieser Komplex von Glaubensvorstellungen stützt sich darauf, dass einerseits die Gesellschaft beim Verständnis und der Interpretation der Fakten keinen Konsens findet: ist denn das Virus tatsächlich gefährlich oder wird seine Gefährlichkeit von den Medien, internationalen Organisationen und nationalen Regierungen übertrieben? Zweifel an offensichtlichen Fakten stellt sich Covid-Dissidenten als gesunder Menschenverstand und Triumph des kritischen Denkens dar. Andererseits gibt es ein insgesamt schlummerndes, aber gelegentlich erwachendes und sich laut meldendes Gefühl, dass die Macht – die staatliche als auch die kirchliche – immer auf der Seite des Bösen stehe, darum ist es überhaupt nicht schwer, an ein Komplott der Staatsmacht mit dem weltlichen Bösen zu glauben. Ebenso unschwer zu glauben ist, dass Patriarch Kirill und die offizielle Kirche die „Reinheit des Glaubens“ zugunsten von fremden oder der Kirche sogar feindlichen Kräften leicht aufgeben könnten.

Revolte im Kloster
Das Aufflackern des Fundamentalismus im April und Mai hat zu unerwarteten Folgen geführt. Nachdem am 5. Juni im Kloster bei Suzdal der anerkannte Anführer der Fundamentalisten der letzten zwei Jahrzehnte, Schema-Archimandrit Pjotr (Kutscher), im Alter von 93 Jahren gestorben war, war die Position des Anführers vakant. Nachfolger hat Archimandrit Pjotr keine und Anspruch auf die Führung erhebt bisher erst ein Kandidat: Schema-Igumen Sergij (Romanov), außerordentlicher Priester der Metropolie Jekaterinburg. Charismatisch, ungebildet, zugleich mit einer Vergangenheit bei der Polizei und im Gefängnis passt er gut in das Bild des reuigen Sünders, der „besondere spirituelle Gaben“ erhalten hat, darunter Macht über dämonische Kräfte. Er führt Exorzismen durch, dabei treibt er Dämonen aus Pilgern aus. Aus der Perspektive der „Volksorthodoxie“ ist er praktisch der ideale Anführer der Fundamentalisten.

Im Mai und Juni gab er eine Reihe radikaler Erklärungen ab, wobei er alle, die Kirchen geschlossen hatten, verfluchte und dazu aufrief, Patriarch Kirill wegen der „Verletzung kirchlicher Regeln“ vor Gericht zu bringen. Doch neben der kirchlichen Führung kritisierte er auch die Staatsführung scharf, nannte sie gottesfeindlich und behauptete, die Staatsmacht in Russland richte ein „faschistisches Konzentrationslager Satans“ ein. Er rief seine Anhänger auf, dem Inlandsgeheimdienst (FSB), der Staatsanwaltschaft, Polizei und dem Untersuchungsausschuss schriftliche Anträge zu stellen, Vladimir Putin, Ministerpräsident Michail Mischustin, den Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin und alle, die an der „Einführung der digitalen Identifikation, künstlichen Intelligenz, biometrischer Dokumente und Zuordnung von Zahlen zu Menschen, die in Russland leben“ beteiligt waren, zur Verantwortung zu ziehen.

Als die Kritik am Präsidenten erklang, konnte die offizielle Kirche nicht mehr schweigen. Ende Mai verbot Metropolit Kirill (Nakonetschnyj) von Jekaterinburg Vater Sergij Gottesdienste zu feiern, untersagte ihm das Predigen und sämtliche öffentliche Auftritte und zitierte ihn vor ein Kirchengericht.

Als Reaktion ging Vater Sergij buchstäblich aufs Ganze. Die Verbote akzeptierte er nicht, er feiert weiterhin Gottesdienste und tritt öffentlich auf. Zur ersten Gerichtsverhandlung erschien er, verlas aber den Anwesenden lediglich eine Erklärung und ging sofort wieder. Zur zweiten Verhandlung erschien er einfach nicht. Und das heißt, dass schon Anfang Juli die dritte Verhandlung stattfindet, an der sie ihn seines Amtes entheben werden. Die Annahme ist begründet, dass die Auseinandersetzung mit einer Abspaltung von Vater Sergij endet. Und das wird einer der Konflikte in der ROK in den letzten Jahrzehnten mit dem meisten Echo sein.

Sowohl Vater Sergij selbst als auch die Kirchenleitung begreifen gut, dass beträchtliche Kräfte hinter ihm stehen. Erstens steht das größte Kloster der Region, das Sredneuralsker Frauenkloster, völlig auf seiner Seite. Von 500 Nonnen haben es nur fünf abgelehnt, ihn zu unterstützen: die Äbtissin und vier ihrer Assistentinnen. Alle übrigen haben Partei für den revoltierenden Schema-Igumen ergriffen. Zweitens sind das seine „spirituellen Kinder“, zu denen auch Medienpersönlichkeiten und lokale Vertreter der staatlichen Gewaltorgane gehören. Der Hockeyspieler Pavel Dazjuk hat Vater Sergij Romanov schon verteidigt. Die Abgeordnete Natalja Poklonskaja nennt Vater Sergij in letzter Zeit zwar nicht mehr ihren Beichtvater, hat es aber abgelehnt, ihn zu verurteilen. Und schließlich zählt Vater Sergij Romanov auf die Unterstützung nicht organisierter fundamentalistischer Gruppen in ganz Russland, obwohl es im Moment noch schwierig zu sagen ist, ob es eine tatkräftige Unterstützung oder schweigendes Mitgefühl sein wird.

Die Fundamentalisten und Patriarch Kirill
In dieser Situation gibt es zwei große Fragen. Die erste richtet sich an die Kirche: Inwiefern sind solche Ansichten in großen Kirchen, die sich immer durch eine Vielfalt von Gruppen und Meinungen auszeichnen, als unausweichlich zu betrachten? Wie ist der Charakter fundamentalistischer Strömungen und ihr Einfluss auf die zeitgenössische Orthodoxie zu bewerten? Die zweite Frage richtet sich an den Staat: Ist er bereit, die ROK weiterhin zu protegieren, wenn es in ihr nicht nur einen Herd der Kritik, sondern auch Versuche eines organisierten Widerstands gegen die Staatsmacht gibt?

Auf die erste Frage hat die Kirche keine klare Antwort. Zurzeit kann Paragraf 17 der Enzyklika des Konzils von Kreta als einzige Erwähnung des Fundamentalismus in offiziellen Dokumenten der Orthodoxen Kirche betrachtet werden: „Die Ausbrüche des Fundamentalismus innerhalb religiöser Gemeinschaften lösen das Risiko aus, dass die Ansicht sich durchsetzt, der Fundamentalismus gehöre zum Wesen des Phänomens Religion. In Wahrheit ist der Fundamentalismus jedoch als „Eifer, der nicht auf Kenntnis beruht“ (Röm 10,2), Ausdruck einer krankhaften Religiosität.“ Die ROK hat jedoch das Konzil von Kreta ignoriert.

Bis in die jüngste Zeit hat die ROK eine ersthafte Diskussion über orthodoxen Fundamentalismus vermieden und es vorgezogen, über islamischen Fundamentalismus oder „Fundamentalismus überhaupt“ zu sprechen. Zudem war Patriarch Kirill in den letzten zehn Jahren im Umgang mit Fundamentalisten äußerst vorsichtig, wobei er offenbar ihre Macht und ihren Einfluss in der Kirche überschätzte. Die Fundamentalisten machten sich das zunutze, betrachteten Kirill aber nie als „ihren“ Patriarchen. Während der Pandemie hat Patriarch Kirill nun den Einfluss auf einen bedeutenden Teil der Kirche verloren und seine Autorität ist stark ins Wanken geraten. Die scharfen Erklärungen der Fundamentalisten an die Adresse des Episkopats sind der Beginn einer neuen Etappe im Leben der ROK und sie wird nicht heiter werden.

Aber auch der Staat hat keine Antwort darauf, was mit der Kirche zu tun ist. Anstatt sich ausschließlich als Mitstreiterin des Staats im Kampf für Traditionen gegen äußere modernistische Bedrohungen zu positionieren, bringt sie aus sich Kräfte hervor, die den russischen Staat mit demselben Maßstab wie westliche Staaten messen sowie ihn für einen gotteskriegerischen Zerstörer der alten Ordnung halten. Die Staatsmacht hat sich so sehr an die volle Loyalität der kirchlichen Hierarchen gewöhnt, dass sie deren Position automatisch auf die ganze Kirche übertragen hat. Und das hat sich als großer Fehler erwiesen. Das Misstrauen gegenüber dem Staat ist nach wie vor ein ganz wesentlicher Zug der Volksreligiosität und das kann ein vernichtender Schlag für das entstandene System der kirchlich-staatlichen Beziehungen werden. Mit der loyalen Kirche führt der Staat ein Gespräch, aber mit der nicht loyalen ein ganz anderes. Wie schnell und wie grundlegend sich das Verhältnis ändern wird, ist schwierig vorauszusagen. Dennoch ist offensichtlich, dass dies zumindest als guter Vorwand benutzt werden wird, um in einem ersten Schritt in der Situation einer Wirtschaftskrise die staatliche und halbstaatliche Finanzierung der Kirche einschneidend zu kürzen.

Sergej Tschapnin, Publizist, Religionswissenschaftler und Vorsitzender von ARTOS, einem Verein zur Förderung christlicher Kultur, ehemaliger Hauptredakteur des Journals des Moskauer Patriarchats.

Übersetzung aus dem Russischen: Natalija Zenger.

Am 3. Juli sprach das Eparchialgericht von Jekaterinburg Sergij die Priesterwürde ab. (Anm. d. Red.)

Der Text ist zuerst am 29. Juni auf Russisch auf der Seite des Moskauer Carnegie-Zentrums erschienen.