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OWEP 4/2018: Montenegro

Montenegro zählt hierzulande zu den weniger bekannten Ländern Europas, was wohl mit der geringen Gesamtfläche und Einwohnerzahl des Landes (mit ca. 620.000 Menschen ungefähr der Stuttgarts entsprechend) zusammenhängt. Als ehemals kleinste Teilrepublik Jugoslawiens kann es sich an Bekanntheit – auch und gerade in touristischer Hinsicht – mit Kroatien und Slowenien nicht messen, und wenn es neuerdings häufiger in den Medien genannt wird, sind die Konnotationen eher negativ („Vetternwirtschaft“, „Bedrohung der Pressefreiheit“ usw.). Um dem etwas entgegenzusetzen, ist es wichtig, das Land etwas genauer und in möglichst vielen Facetten vorzustellen, was in Heft 4/2018 geschieht.

Am Anfang steht der Raum, die Landschaft – und schon in dieser Hinsicht ist, wie der Beitrag des an der Universität Bamberg lehrenden Geographen Prof. Dr. Daniel Göler zeigt, Montenegro sehr vielfältig. Eine mediterrane Küstenregion geht rasch in Gebirgslandschaften teilweise alpinen Charakters über, waldreiche Gegenden wechseln sich mit kargen Hochflächen ab. Der Autor vermittelt Hinweise zu Flora und Fauna und skizziert auch die wirtschaftliche Lage, die durch einen starken Ausbau des touristischen Sektors gekennzeichnet ist, wobei allerdings der Umweltschutz vernachlässigt wird.

Drei Texte des Heftes befassen sich mit der Geschichte des Landes vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Dr. Konrad Clewing, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Leibniz-Instituts für Ost-und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg, beschreibt die wechselvolle Entwicklung des Landes, das in religiöser Hinsicht am Schnittpunkt zwischen katholischer und orthodoxer Tradition und letztlich mehrheitlich orthodox geprägt ist. Fast ein halbes Jahrhundert stand der gesamte Großraum unter osmanischer Herrschaft, wobei sich jedoch gerade Montenegro eine gewisse Eigenständigkeit bewahren konnte. Seit 1878 unabhängiges Fürstentum, ab 1910 Königreich, entwickelte sich das Land in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kulturell und wirtschaftlich, ging jedoch trotz Widerstands vieler Bewohner schon 1918 im „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ (seit 1929: Jugoslawien) auf. Der an der Universität Wien tätige Politikwissenschaftler Dr. Vedran Džihić setzt in seinem Beitrag mit dem Zerfall Jugoslawiens 1990/91 ein, in dessen Folge Montenegro (nach 1945 Teilrepublik in Tito-Jugoslawien) zunächst in einem Staatenverbund mit Serbien verblieb und erst 2006 nach einem Referendum wieder ein unabhängiger Staat wurde. Montenegro ist seit 2017 jüngstes Mitglied der NATO und EU-Beitrittskandidat; allerdings sind im Blick auf Bereiche wie Justiz, Medienfreiheit und Umweltschutz noch viele Defizite zu benennen, die der Autor deutlich anspricht. Wenig überraschend ist es, wenn im folgenden Text Jelena Burzan, Abteilungsleiterin für Europäische Angelegenheiten im Außenministerium von Montenegro, bei der Beschreibung der außenpolitischen Ziele Montenegros auf dem Weg in die EU die Akzente ein wenig anders setzt.

Auch in religiöser Hinsicht ist die Landkarte Montenegros sehr bunt. Der größte Teil der Bevölkerung zählt sich zur orthodoxen Kirche, die jedoch in die traditionelle Serbische Orthodoxe Kirche und die erst seit wenigen Jahren bestehende Montenegrinische Orthodoxe Kirche gespalten ist. Prof. Dr. Predrag Puzović, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Belgrad, schildert die Hintergründe dieser Spaltung und ihre Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft. Gegenüber den orthodoxen Christen bilden die Katholiken heutzutage nur noch eine kleine Minderheit, die jedoch auf eine bedeutende Vergangenheit zurückblicken kann, wie aus einem zweiten Beitrag von Dr. Konrad Clewing deutlich wird. Höher ist gegenwärtig der Anteil der Muslime in Montenegro (nach manchen Schätzungen bis zu 20 Prozent). Ihrem wechselhaften Schicksal, das von Duldung über Verfolgung bis zur endgültigen Anerkennung als gleichberechtigte Staatsbürger reicht, geht Prof. Dr. Šerbo Rastoder, Historiker an der Universität Nikšić, nach.

Nicht selten ist es der Fall, dass ein kleines Land über eine breite literarische Szene verfügt. Dies trifft auch auf Montenegro zu, wobei die Situation durch die Frage des nationalen Selbstverständnisses zusätzlich verkompliziert wird: Einige Autoren ordnen sich dem serbischen Kulturraum zu, andere dem montenegrinischen, und schließlich gibt es auch Literaten, die sich jeder Zuordnung entziehen. Die an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrende Slawistin Dr. Vesna Cidilko vermittelt Einblicke in die literarische Szene Montenegros und stellt einige jüngere Autoren vor, darunter z. B. Andrej Nikolaidis, dessen Romane auch in deutscher Übersetzung vorliegen.

Weiterhin enthält das Heft eine kurzgefasste Länderinformation mit den Eckdaten Montenegros von Christiana Hägele, Länderreferentin bei Renovabis, und ein Interview mit der früheren deutschen Botschafterin in Montenegro, Gudrun Steinacker. Über das Heft verteilt finden sich Textkästen mit Informationen zu einigen Themen, darunter „montenegrinische Sprache“ und „Pontevedro“. Der weiteren Lektüre dient eine Literaturübersicht.

Dem Heft liegt zusätzlich das Gesamtjahresverzeichnis des 19. Jahrgangs 2018 der Zeitschrift OST-WEST. Europäische Perspektiven bei.

Ein Ausblick auf Heft 1/2019, das im kommenden Februar erscheinen wird: Schwerpunkt sind „Meere im Osten und Südosten Europas“, darunter die Adria, das Schwarze Meer und das Kaspische Meer. Die Beiträge befassen sich mit kulturhistorischen ebenso wie mit wirtschaftlichen Aspekten der vorgestellten Meere und ordnen sie in den Kontext der jeweiligen Großräume ein.

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis und ein Beitrag im Volltext finden sich unter www.owep.de. Das Heft kann für € 6,50 (zzgl. Versandkosten) unter www.owep.de bestellt werden.