Estland: Präsident gibt Religionsgesetz an Oberstes Gericht weiter
Der estnische Präsident Alar Karis hat die umstrittenen Anpassungen des Religionsgesetzes erneut nicht angenommen und unterschrieben. Da die Gesetzesänderung im September vom Parlament bereits in dritter Lesung angenommen worden war, konnte er es nicht mehr zurückweisen, stattdessen hat er es dem Obersten Gericht zur Prüfung vorgelegt. Seiner Meinung nach verstößt das Gesetz weiterhin gegen die Verfassung und schränkt die Versammlungs- und Religionsfreiheit unverhältnismäßig ein.
Seinen Entscheid begründete er damit, dass es in Estland „juristische Mittel zur Kontrolle und Begrenzung“ einer subversiven Tätigkeit des Moskauer Patriarchats, die auf die Souveränität und Demokratie ziele, gebe. Das geltende Recht erlaube nicht nur eine Kontrolle der religiösen Organisationen, sondern verlange diese sogar. Das Problem liege daher nicht im Fehlen rechtlicher Instrumente, sondern in ihrer „ungenügenden oder unvollständigen Anwendung“. Im Fall einer Bedrohung sehe die Gesetzesänderung vor, nicht nur die administrativen und ökonomischen, sondern auch die kanonischen Verbindungen zu einer ausländischen Entität zu verbieten. Ein „so breites und schwammiges Verbot“ sei nicht nötig, ein klareres Verbot, bei dem Religionsgemeinschaften nur die mit der Bedrohung verbundenen Beziehungen abbrechen müssten, wäre zielführender, so die Ansicht des estnischen Präsidenten. Eine staatliche Einmischung in die Glaubenslehre könnte sogar kontraproduktiv sein, befürchtet Karis, und die Autorität eines ausländischen Religionsführers noch verstärken. Zudem könnten solche Verbote analog auf andere Vereinigungen, z.B. politische Parteien, angewendet werden, dies sei aber verfassungswidrig. Statt das Problem zu lösen, würden die Gesetzesänderungen es verschlimmern und zu mehr Untersuchungen führen.
Das neue Gesetz zielt in erster Linie auf die Estnische Orthodoxe Christliche Kirche (EOCK), die dem Moskauer Patriarchat untersteht. In einem Statement hat Bischof Daniil (Lepisk) von Tartu, der Vikar der Eparchie Tallinn, die Verabschiedung in dritter Lesung kritisiert und zum Dialog aufgerufen. Er bemängelte vor allem, dass ohne Beteiligung seiner Kirche über ihr Schicksal diskutiert und entschieden werde. Seine Kirche habe Treffen angeboten und die Bereitschaft ausgedrückt, ihre Position zu erklären und zu einem konstruktiven Dialog zurückzukehren, aber ohne Erfolg. Zu öffentlichen Sitzungen in der Frage wurde Bischof Daniil laut eigenen Angaben nicht eingeladen, im Gegensatz zu Vertretern der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche (EAOK), die zum Patriarchat von Konstantinopel gehört. Er betonte einmal mehr, dass seine Kirche die Sorge um die nationale Sicherheit teile, dass aber die kanonischen Verbindungen seiner Kirche zum Moskauer Patriarchat kein Anlass gäben, gegen die Interessen Estlands zu handeln. Im Statut der EOCK sei zudem festgehalten, dass ihre Aktivitäten in Estland im Rahmen der estnischen Gesetzgebung zu erfolgen hätten. (NÖK)

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