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Rezension: Global Eastern Orthodoxy

Giuseppe Giordan, Siniša Zrinščak (eds.)
Global Eastern Orthodoxy
Politics, Religion and Human Rights
New York 2020, 264 Seiten
ISBN 978-3-030-28687-3. 90.94 €.

 

Die Zielsetzung dieses Sammelbandes ist klar: Die Herausgeber wollen altes Schubladendenken überwinden und das orthodoxe Christentum in Zeiten veränderter politischer Rahmenbedingungen, weltweiter Migration und eines sich wandelnden Religionsverständnisses im globalen Kontext neu begreifen (S. 2).

Das Werk ist in zwei Teile gegliedert, die einerseits die Menschenrechte in Bezug auf Religion und Politik sowie andererseits die orthodoxe Diaspora und ihre Identität in der globalen Welt behandeln. Der Sammelband enthält neben einer thematischen Einführung durch die beiden Herausgeber sieben Aufsätze zur Thematik des ersten Abschnitts sowie vier Aufsätze im zweiten Segment. Dabei werden Themen wie Globalisierung, partizipatorische Demokratie und die Verknüpfung religiöser und politischer Diskurse in Russland, Griechenland, Belarus, Rumänien und Zypern untersucht. Das Werk beansprucht eine ausgewogene Mischung aus theoretischen und empirischen Zugängen für sich und löst dies insgesamt auch ein. Ein weiteres Augenmerk wird auf die im Zuge der Globalisierung gezwungenermaßen veränderten Praktiken und Strukturen der Orthodoxen Kirche gelegt. Der Sammelband zeichnet sich durch eine Vielfalt an Länderbeispielen aus, darunter auch weniger naheliegendere wie die Schweiz, die USA, Italien und Deutschland. Beide Herausgeber des Sammelbands sind Soziologen: Giuseppe Giordan wirkt als Dozent für Soziologie an der Universität Padua, Siniša Zrinščak hat einen Lehrstuhl für Soziologie an der Juristischen Fakultät der Universität Zagreb inne. Das vorliegende Werk ist im Zuge einer gleichnamigen internationalen Konferenz im Mai 2017 in Padua entstanden. Diese wurde vom International Joint PhD Programme „Human Rights, Society, and Multi-level Governance“ veranstaltet, als dessen Koordinator Giordan fungiert.

Im ersten „Beitrag Orthodox Christianity and Modern Human Rights: Theorising Their Nexus and Addressing Orthodox Specificities“ thematisiert Vasilios N. Makrides ausführlich die Sicht der Orthodoxen Kirche auf die modernen Menschenrechte und schafft einen analytischen Rahmen für einen kritischen Umgang mit der Thematik. In seinem Fazit relativiert er die vermeintliche Modernefeindlichkeit der Orthodoxie mit dem Hinweis, dass sich auch die katholische Kirche mit Moderne und Menschenrechten über einen langen Zeitraum hinweg ähnlich schwergetan habe.

Die beiden folgenden lesenswerten Aufsätze „The Russian Orthodox Church and the Global World“ von Kathy Rousselet und „The Russian Orthodox Church’s Approach to Human Rights“ von Kristina Stoeckl behandeln die Russische Orthodoxe Kirche in unterschiedlichen Kontexten. Emmanuel Clapsis bietet in „The Great and Holy Council and the Orthodox Churches in the Public Sphere“ eine auf den philosophischen Theorien von Jürgen Habermas, John Rawls und Charles Taylor basierende Analyse. Die Orthodoxe Kirche müsse, um als aktive Teilhaberin pluralistischer Gesellschaften fungieren zu können, theologisch informiert und zugleich vertraut mit gesellschaftlichen Realitäten sein. Daran schließt sich der Beitrag „Religious Freedom in Context: A Comparison Between Belarus and Romania“ von Breskaya und Silviu Rogobete an. Er behandelt die Entwicklung von Religionsfreiheit bezogen auf verschiedene Gruppierungen in einem politischen Kontext. Weiterhin sind im ersten Teil des Sammelbands die Aufsätze „Religion and Human Rights in Greece“ von Effie Fokas sowie „Greek-Cypriot Religiocultural Heritage as an Indicator of Fundamental Rights and a Means to Cultural Diplomacy“ von Georgios E. Trantas zu finden, die sich beide der Geschichte der Menschenrechte im griechischen Kontext widmen.

Der zweite Teil des Werks wird mit Maria Hämmerlis Beitrag „Orthodoxy Going Global: The Quest for Identity“ eingeleitet, in welchem sie von einem Prozess der Indigenisierung der Orthodoxie im Westen spricht (S. 177). Konkret belegt Hämmerli dieses Phänomen an Serbisch-, Russisch- und Griechisch-Orthodoxen, die in westlichen Ländern wie etwa Frankreich leben. Dabei liegt für sie die Problematik in einer religiös verwobenen Kultur, die Teil des Alltags ist, sich in der neuen Heimat jedoch als Lebensausdruck einer Minderheit mit einer strikten Trennung von Kultur und Religion in der Mehrheitsgesellschaft auseinandersetzen muss. Ein weiterer Grund ist die durch Säkularisierung veränderte Haltung der westlichen Welt zur Religion, die aus dem öffentlichen Raum ins Private zurückgedrängt wurde. Die Autorin kommt zu der berechtigten Schlussfolgerung, es gebe eine große Spannbreite innerhalb der orthodoxen Gemeinschaft an offenen, neutralen und abwehrenden Haltungen der Moderne gegenüber (S. 190).

Der Beitrag „Singing an Old Song in a New Land: Orthodox Christian Churches in the Twenty-First Century America“ von Alexei Krindatch sticht besonders aus dem Sammelband hervor, da er sich primär nicht als wissenschaftlicher Beitrag versteht, sondern eine Momentaufnahme des orthodoxen Christentums in den USA des 21. Jahrhunderts bieten will (S. 195). Allerdings enttäuscht er damit in Teilen, weil er sich hauptsächlich auf eine trockene Beschreibung und Analyse zahlreicher Grafiken beschränkt, die zudem das Lesen erschweren. Der Essay kommt zu dem Fazit, die orthodoxen Gemeinden befänden sich in dem Dilemma, ihre Grundüberzeugungen  nicht verraten zu dürfen, und gleichzeitig im Wettbewerb mit einer Vielzahl an anderen Religionen im modernen Amerika gesprächsfähig bleiben zu müssen. Elementar ist für die orthodoxen Gemeinden laut Krindatch nicht nur ihr Glaube, sondern auch das Bestehen auf Tradition und Kontinuität, was in Bezug auf Reformen gewisse Skepsis schürt (S. 216). Dem folgt der Aufsatz „Orthodox Christianity in a Western Catholic Country“ von Marco Guglielmi, der einen anregenden Einblick über soziokulturelle Aspekte dreier unterschiedlicher orthodoxer Kirchen im katholischen Italien eröffnet.

Der letzte Beitrag von Eleni D. Tseligka „Greek Diaspora in Germany: Church as the Ecclesia’s Forerunner and Point of Reference“ gibt einen guten Überblick über die Rolle der Religion bei der Integration von Griechen in Deutschland. Beginnend mit einem historischen Überblick zeigt der Aufsatz deren anfänglichen Vorbehalt gegenüber einem dauerhaften Aufenthalt in der „Fremde“, was den Zusammenhalt der orthodoxen Gemeinschaften noch verstärkte. Besonders gelungen ist die Multiperspektivität, denn die Autorin hat ihren Beitrag anhand zahlreicher Gespräche und Interviews mit in Deutschland lebenden orthodoxen Griechen verfasst.

Wie bereits Maria Hämmerli in Ihrem Aufsatz resümiert, bringt die Globalisierung noch nie aufgetretene Identitätsfragen für das orthodoxe Christentum hervor, die nach einer Antwort verlangen. Diese Antwort kann das Werk – wie auch die Orthodoxie selbst – gegenwärtig nicht geben, aber es skizziert verschiedene Wege, die offenen Fragen zu thematisieren. Als zusätzliche Herausforderungen erweisen sich dabei die verschiedenen Strömungen im orthodoxen Christentum und das Fehlen einer einenden Stimme. Der Sammelband eignet sich durch seine große thematische Vielfalt für eine breite Leserschaft. Bemängelt werden kann die Gliederung des Werks, da der Lesefluss durch die zahlreichen Unterüberschriften der einzelnen Beiträge gestört wird. Dafür bietet es einen Überblick für den weniger gut informierten Leser und hält gleichzeitig einige literarische Schätze für Kenner bereit. Insgesamt also ein gelungenes Werk.

Anna-Lena Blaukowitsch, Regensburg