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Polen: Erklärung und Gesten zur polnisch-ukrainischen Versöhnung

14. Juli 2023

Erzbischof Stanisław Gądecki, der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, und Großerzbischof Svjatoslav Schevtschuk, das Oberhaupt der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK), haben am 7. Juli in der Johanneskathedrale in Warschau einen gemeinsamen Gottesdienst der „Versöhnung und der Vereinigung“ gefeiert. Anschließend unterzeichneten sie eine gemeinsame Erklärung zum 80. Jahrestag des Massakers von Wolhynien. Darin heißt es: „Wir streiten uns nicht über die Fakten der jüngsten Vergangenheit und deren Bewertung.“

In der von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg besetzten heutigen westukrainischen Region Wolhynien hatten ukrainische Nationalisten, vor allem von der Ukrainischen Aufstandsarmee, ab 1943 bis 130'000 Polen getötet. Racheakten polnischer Nationalisten fielen bis 20'000 Ukrainer zum Opfer. Erzbischof Gądecki betonte die Schwierigkeit des Themas, aber auch angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ein großes Bedürfnis nach Vereinigung der polnischen und ukrainischen Völker: „Im Leben kann nicht alles mit Gerechtigkeit gelöst werden. Nein. Wo man dem Bösen Grenzen setzen muss, um eine neue Geschichte der Gnade zu beginnen, muss jemand mehr lieben als nötig.“ Er betonte, dass „für einen wirksamen und dauerhaften Versöhnungsprozess die Wahrheit über diesen Völkermord einen Platz in den Bildungsprogrammen Polens und der Ukraine finden sollte“, und appellierte außerdem an die Präsidenten und Ministerpräsidenten sowie die Parlamente beider Länder, alle Opfer des Völkermordes würdig zu bestatten und die Leichen der Ermordeten zuvor zu exhumieren.

Auch Großerzbischof Schevtschuk bekräftigte, dass die Versöhnung ein Prozess der Heilung der Wunden sei, „die sowohl Polen als auch Ukrainer bis heute in ihren Seelen und Gewissen tragen. Es ist nicht leicht, Schmerz und Ressentiments zu heilen.“ Angesichts dessen seien die offenen Herzen der Polen gegenüber ukrainischen Kriegsflüchtlingen etwas außergewöhnliches: „Frühere Ressentiments sind verschwunden und an ihre Stelle ist die Möglichkeit getreten, persönliche Freundschaften zu knüpfen. Das Gleiche kann ich von der ukrainischen Seite sagen. Das ukrainische Volk fühlt, dass die Polen seine besten Freunde sind.“

Bereits zum 70. Jahrestag der Massaker 2013 hatten Schevtschuk und der damalige Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Józef Michalik, zur gegenseitigen Vergebung von Verbrechen und „ethnischen Säuberungen“ aufgerufen und „extremen Nationalismus und Chauvinismus“ verurteilt. Großerzbischof Schevtschuk hatte damals während des Gottesdienstes „jede polnische Familie, die Verwandte durch die Hand meiner Landsleute verloren hat, um Vergebung“ gebeten.

Auch in der aktuellen Erklärung wird betont, dass es nicht darum gehe, zu vergessen, sondern gemäß dem Rat von Papst Johannes Paul II., dem „Patron auf dem Weg der polnisch-ukrainischen Versöhnung“, durch eine Reinigung der historischen Erinnerung dasjenige stärker zu gewichten, was eint, als das, was spaltet. Daher werden auch Historiker:innen aufgerufen, weiterhin die Wahrheit über die damaligen Geschehnisse und das Ausmaß des Dramas aufzudecken, aber auch Beispiele mutigen Handelns festzuhalten (z.B. die polnische katholische Familie Ulma, die jüdische Flüchtlinge versteckt hatte und 1944 hingerichtet worden war; 2013 wurde ein Seligsprechungsprozess für sie eröffnet).

Erzbischof Gądecki und Großerzbischof Schevtschuk unternahmen zudem am zweiten Juli-Wochenende eine „Wallfahrt der Vergebung und Versöhnung“ nach Wolhynien. In der römisch-katholischen Kathedrale im ukrainischen Luzk feierten die beiden Bischöfe zusammen mit Erzbischof Visvaldas Kulbokas, dem Apostolischen Nuntius in der Ukraine, Bischof Vitaliy Skomarovskyj, dem Vorsitzenden der röm.-kath. Bischofskonferenz der Ukraine, einen gemeinsamen Gottesdienst. Anwesend war auch das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epifanij (Dumenko). Überraschend nahmen an dem Gottesdienst am 9. Juli auch der polnische Präsident Andrzej Duda und der ukrainische Präsident Volodymyr Zelenskyj teil. „Gemeinsam gedenken wir aller unschuldigen Opfer von Wolhynien! Die Erinnerung eint uns! Gemeinsam sind wir stärker,“ kommentierte Präsident Zelenskyj auf Twitter seine Teilnahme an der Versöhnungsfeier.

Regula Zwahlen