Armenien: Verwandte des Katholikos verhaftet
Im seit Monaten andauernden Konflikt zwischen der Regierung und der Armenischen Apostolischen Kirche ist es mit der Verhaftung des Bruders und des Neffen des Katholikos zu einer weiteren Eskalation gekommen. Den beiden wird vorgeworfen, Personen gezwungen zu haben, an Wahlkampfkampagnen teilzunehmen oder Kampagnen zu behindern. Der Vorwurf stammt von oppositionellen politischen Aktivisten. Dies bestreitet der Anwalt der Familie. Die Kirche nannte das Vorgehen in einem Statement „ungerecht“ und warnte vor weitreichenden Folgen für die Zivilgesellschaft und Religionsfreiheit.
Auch der Priester Aram Asatrjan hatte der Kirche eine Einmischung in Wahlkampagnen vorgeworfen. Sie habe Druck ausgeübt, um die Teilnahme an Veranstaltungen bestimmter politischer Kräfte zu fördern. Asatrjan, der Abt des Klosters Hovhanavank in der Region Aragatsotn ist, wurde am 21. Oktober die Priesterwürde aberkannt, und er wurde in den Laienstand versetzt. Die Kommission für Disziplinarangelegenheiten der Armenischen Apostolischen Kirche warf ihm vor, in öffentlichen Aussagen die Kirche, den Leiter seiner Diözese und die Geistlichen der Kirche diskreditiert zu haben. Zudem habe er Anweisungen seines Bischofs missachtet und sich unangemessen verhalten. Weiter habe er den Katholikos und den leitenden Bischof seiner Diözese in der Liturgie nicht kommemoriert und sich so außerhalb der Kirchengemeinschaft positioniert. Da er wiederholt nicht zu den Sitzungen der Kommission erschienen sei, habe er deren Autorität missachtet und gegen sein Gehorsamkeitsgelübde verstoßen.
Der Höchste Geistliche Rat der Kirche wies Asatrjan an, das Kloster Hovhanavank bis zum 23. Oktober zu verlassen und bis zum 15. Januar aus seiner Dienstwohnung auszuziehen. Da ihm sein Rang aberkannt wurde, darf er keine Gottesdienste durchführen. Zugleich wurde er gewarnt, die dem Kloster zugewiesenen Geistlichen nicht an der Durchführung von Gottesdiensten zu hindern. Allerdings weigere sich Asatrjan, die Schlüssel der Kirche abzugeben und das Gelände zu verlassen, heißt es im Statement des Rats. Besonders empört zeigte sich der Rat über die Absicht Asatrjans, trotz seiner Bestrafung die Liturgie zu feiern, zu der er auch Ministerpräsident Nikol Paschinjan einlud. Es sei ein weiterer „Versuch des Oberhaupts der regierenden politischen Kraft, in der Kirche Spaltungen zu säen“. Aram Asatrjan wies die Anschuldigungen zurück, seine Bestrafung sei politisch motiviert und hänge mit seiner Kritik an leitenden Geistlichen zusammen.
Am 30. Oktober beklagte die Kirchenleitung in einem Statement, dass das Kloster Hovhanavank besetzt sei. Die dorthin versetzten Priester würden an ihrem Dienst gehindert und bedroht. Die Handlungen in Hovhanavank, die das Feiern der Liturgie vorgaukelten und von den Behörden geschützt würden, stellten eine „Entweihung“ dar, die Kirche müsse nun neu geweiht werden. Die Armenische Apostolische Kirche will alle rechtlichen Möglichkeiten in Anspruch nehmen, um ihre Autorität über die Kirche in Hovhanavank wiederherzustellen, Verstöße gegen die Gewissensfreiheit zu beenden, das geistliche und kanonische Leben der Gläubigen zu schützen und den ungehinderten Dienst der Geistlichen zu gewährleisten.
Ministerpräsident Paschinjan seinerseits kritisierte die Kirchenleitung erneut heftig. Auslöser war, dass die Opposition eine Fragerunde mit dem Ministerpräsidenten im Parlament am 22. Oktober boykottierte. Als Reaktion auf die leeren Sitze wertete Paschinjan den möglichen Beitrag der oppositionellen Abgeordneten an der Veranstaltung ab und fuhr damit fort, hohe Geistliche der Kirche zu kritisieren. Er unterstellte ihnen ein Luxusleben, Affären und illegitime Kinder und warf ihnen Heuchelei und moralische Korruption vor. Dem Bruder des Katholikos unterstellte er, ein KGB-Agent gewesen zu sein. Schließlich behauptete der Ministerpräsident, dass ein „großer und aktiver Teil“ der armenischen Opposition vom Ausland gesteuert werde.
In der Auseinandersetzung zwischen der Kirche, die immer wieder heftige Kritik an der Politik der Regierung übt, und der armenischen Regierung ist bereits eine ganze Reihe Geistlicher verhaftet worden. So wurden am 15. Oktober Bischof Mkrtich Proschjan, das Oberhaupt der Diözese Aragatsotn, und zwölf weitere Geistliche verhaftet. Am 3. Oktober verurteilte ein Gericht Erzbischof Mikael Ajapahjan, das Oberhaupt der Diözese Schirak, zu zwei Jahren Haft, weil er öffentlich zur Machtübernahme und zum Sturz der Regierung aufgerufen habe. Im Sommer 2024 hatte zudem Erzbischof Bagrat Galstanjan die Bewegung „Heiliger Kampf“ gegen die Regierung angeführt, die zur größten Protestbewegung in Armenien seit der Samtenen Revolution anwuchs, dann aber wieder versandete. Galstanjan wurde im Juni 2025, kurz vor Erzbischof Ajapahjan, verhaftet. (NÖK)

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