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Kirchen müssen Verantwortung angesichts Europas Sicherheitskrise übernehmen

25. September 2025

Simon Fuhrmann

Unter dem Titel „Auf dem Weg zu einer christlichen Staatsbürgerschaft in Europa“ versammelte die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) Mitte September 60 hochrangige Kirchenvertreter aus 25 europäischen Ländern und Kanada im dänischen Nyborg, um über die Verantwortung der Kirchen in einer neuen Weltordnung zu diskutieren. Die Teilnehmenden suchten Antworten auf Fragen, welche Rolle die Kirchen in einer Zeit spielen sollten, in der militärische Aufrüstung und Krieg die Medien und das tägliche Leben dominieren – und Frieden und Versöhnung unerreichbar scheinen. Wie können die europäischen Kirchen dazu beitragen, Europas Zukunft zu gestalten, wenn der Kontinent erneut mit einer Sicherheitskrise konfrontiert ist?

Eine komplexe Doppelrolle
Der Nationale Rat der Kirchen in Dänemark war Mitveranstalter der Konferenz. Emil Saggau, der Generalsekretär des Rats, beschrieb die komplexe Situation, in der sich die Kirchen und Christen befinden: „Die Kirchen sind in einer komplexen Doppelrolle, in der sie zu Frieden und Zusammenhalt in Europa beitragen müssen, während sie gleichzeitig loyal gegenüber den nationalen Interessen in einer neuen geopolitischen Landschaft sein sollen.“ Sofia Camnerin, Generalsekretärin des Christenrats von Schweden, bestätigte diese Doppelrolle. Sie betonte, dass die Christen aufgerufen sind, Christus als Friedensfürst treu zu bleiben: „Wir müssen dem Friedensfürsten folgen und das Schwert niederlegen. Denn Krieg ist gegen Gottes Wille“, so Camnerin und fügte hinzu: „Aber natürlich hat eine Nation das Recht, sich zu verteidigen.“ Angesichts dieser komplexen Situation insistierte Saggau, dass Christen sich nicht in eine passive Form des Pazifismus zurückziehen dürfen: „Der Frieden in Europa ist nicht garantiert, und unser Pazifismus muss ein Pazifismus sein, der Waffen trägt and Wachen aufstellt. Das ist sicherlich eine gefährliche Aufgabe, vor der wir stehen. Als Christen müssen wir das berechtigte Anliegen der säkularen Autoritäten, unsere Demokratien zu verteidigen, anerkennen“, hob Saggau hervor.

Die Konferenz unterstrich, dass die europäischen Christen Bürger ihrer Nationen sind, aber gleichzeitig eine „himmlischen Bürgerschaft“ besitzen, wie der Apostel Paulus sagt (Phil 3,20). Die Frage, wie christliche Bürgerschaft angesichts der neuen geopolitischen Realität Europas aussehen soll, ist daher drängend. Eine Botschaft der Konferenz war, dass die Kirchen sich nicht zugunsten einer naiven Militarisierung und eines Nationalismus missbrauchen und instrumentalisieren lassen dürfen, wie es in Teilen Europas zu beobachten ist. Christen müssen mit einer „kritischen Solidarität“ gegenüber dem Staat leben und sich der Grenzen der Unterstützung nationaler Interessen bewusst sein.

Emil Saggau betonte, dass Frieden heute nicht als selbstverständlich angesehen werden kann. Russlands Invasion in die Ukraine hat die Spielregeln verändert, was auch eine Herausforderung für die Kirchen darstellt. Die Konferenz wurde zu einem Diskussionsforum, wie die Kirchen sowohl berechtigte Sicherheitsinitiativen unterstützen als auch gleichzeitig am Friedensauftrag des Evangeliums festhalten können. „Meiner Ansicht nach hat ein gerechter Frieden seinen Preis. Die Alternative ist ein billiger Frieden, der Würde, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit für den christlichen Glauben opfert“, so Saggau.

Osteuropäischen Stimmen Raum bieten
Die KEK ist insofern besonders, als sie ein Forum bietet, bei dem vor allem orthodoxe – aber nicht russisch-orthodoxe – und protestantische Vertreter in einen Dialog über den Glauben und die Welt treten können. In einer unsicheren geopolitischen Zeit ist es entscheidend, dass die Kirchen ihre gemeinsame Verantwortung betonen, und dass die westeuropäischen Kirchen den christlichen Stimmen aus dem Osten Gehör schenken. Vertreter:innen aus der Ukraine, Georgien und Armenien hinterließen einen besonders starken Eindruck, als sie die Situationen ihrer Kirchen inmitten von Krieg und Konflikt beschrieben. Ihre Botschaft war klar: Die Rolle der Kirchen besteht nicht nur darin zu trösten, sondern auch die Rechte der Menschen auf Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung zu unterstützen.

„An Europas Grenzen stehen Rudel wilder Wölfe, und wir Georgier wissen, wie ungestüm sie sind“, sagte ein georgischer Bischof. Ein ukrainischer Kollege fügte hinzu: „Wir wollen Sicherheit. Für uns Ukrainer ist Europa die Antwort – unsere Zugehörigkeit zu Europa ist unsere Hoffnung auf Freiheit.“ In mehreren Beiträgen wurde betont, dass die europäischen Kirchen eine neue Rolle finden müssen. Es geht nicht nur darum, Gewalt abzulehnen, sondern auch darum in der Debatte über Verteidigung, Sicherheit und europäischer Zusammenarbeit präsent zu sein. „Wo können wir Hoffnung finden?“, fragte jemand. Bischof Damaskinos (Olkinuora) von der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche (EAOK), die zum Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel gehört, antwortete: „Die christliche Geschichte gibt mir Hoffnung. Die Geschichte ist sehr chaotisch, aber die Kirche existiert noch immer, und das gibt mir Hoffnung.“

Es war kein Zufall, dass die Konferenz in Nyborg stattfand. Genau hier wurde 1959 die KEK als eine Friedensbewegung über den Eisernen Vorhang hinweg gegründet. Damals ging es um den Dialog zwischen Ost und West. Heute geht es auch darum, die demokratischen Werte Europas zu bewahren und die Zusammenarbeit zu stärken – auch mit den Ländern außerhalb des derzeitigen Rahmens der EU. Die Konferenz hat gezeigt, dass Europas Kirchen nicht untätig bleiben können. Sie müssen Anteil an der Gestaltung von Europas Zukunft nehmen – sowohl theologisch als auch politisch. Karen Campbell, Generalsekretärin des Irischen Rats der Kirchen, formulierte es so: „Im biblischen Sinne meint einen Bund schließen eine gerechte Gesellschaft.“ Daher wird der Nationale Rat der Kirchen in Dänemark seine Arbeit fortsetzen, um den Stimmen aus dem Osten, insbesondere aus der Ukraine, Gehör zu verschaffen, damit die Kirchen nicht vergessen, sich für einen gerechten Frieden in den Krisenherden Europas einzusetzen.

Simon Fuhrmann, theologischer Berater des Nationalen Rats der Kirchen in Dänemark.

Übersetzung aus dem Englischen: Stefan Kube.