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Jaroslav Šebek zur neuen Restitutionsdebatte in Tschechien

21. Dezember 2017
Andrej Babiš, der Sieger der tschechischen Parlamentswahlen im Oktober 2017 und seit Anfang Dezember neuer tschechischer Ministerpräsident, hat gefordert, die Restitutionszahlungen an die Religionsgemeinschaften zu besteuern. Wie wahrscheinlich ist es, dass das 2013 in Kraft getretene Restitutionsabkommen neu diskutiert wird?
Der politisch engagierte Milliardär Andrej Babiš ist zwar der Sieger der Parlamentswahlen, aber keine Partei war bereit mit ANO, der Partei von Babiš, eine Koalitionsregierung zu bilden. So steht Babiš einer Minderheitsregierung vor und hofft auf eine Unterstützung seitens der linken Extremisten und rechten Populisten. Die Forderung nach einer Besteuerung der finanziellen Entschädigungssumme kann vor allem als eine der Attacke der Kommunistischen Partei (KSČM) gegen die katholische Kirche gelesen werden. Ich bin der Ansicht, dass Veränderungen am Abkommen nur sehr geringe Erfolgsaussichten haben. Der Erzbischof von Prag, Dominik Kardinal Duka, sagte bereits im letzten Jahr, dass die Kirche sich im Falle von Veränderungen an das das Verfassungsgericht wenden würde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich diese Instanz ohne Änderungen für das bestehende Abkommen aussprechen würde. Die Kirchenrestitution ist also hoffentlich ein abgeschlossenes Kapitel. Es ist daher fraglich, ob Babiš überhaupt ernsthafte Bemühungen in dieser Frage anstrebt. Er sucht vielmehr Unterstützung für seine Regierung kreuz und quer im politischen Spektrum.

Interessant ist freilich, dass sich auch die rechtspopulistische Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ von Tomio Okamura der Forderung nach Veränderungen im Restitutionsabkommen angeschlossen hat. In seinen Glückwünschen an die Vorsitzenden aller Parteien, die nach den Parlamentswahlen im Abgeordnetenhaus vertreten sind, hat Kardinal Duka jedoch auch verbindende Momente mit Okamuras Partei zum Ausdruck gebracht: vor allem die Sorge um die Sicherheit der Bürger in der Tschechischen Republik, aber auch andere Themen. Okamura fordert zudem in seinem Wahlprogramm ein Verbot des Islam in der Tschechischen Republik und sieht die Mitgliedschaft Tschechiens in der EU äußerst kritisch. Die teilweise Nähe von Duka zu Okamuras Einstellungen lösten in kirchlichen Kreisen eine großen Kontroverse aus.

Was wären die Folgen für die Religionsgemeinschaften in Tschechien, wenn das Abkommen neu verhandelt würde?
Das primäre Problem wäre meiner Ansicht nach nicht, dass ganz neue Regeln bezüglich des Restitutionsabkommens verabschiedet werden, sondern dass ein weiterer Vertrauensverlust der Kirchen wahrscheinlich wäre. Und dies dürfte das positive Wirken der Christen in der Gesellschaft komplizieren. In der tschechischen Gesellschaft sind das national-liberale und auch das kommunistische Narrativ tief verwurzelt; beide sehen vor allem die katholische Kirche als Bremse des gesellschaftlichen Fortschritts und der tschechischen nationalen Emanzipationsbemühungen an. So ist der Antagonismus zur katholischen Tradition ein fester Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur. Das Fortwirken dieser negativen Erzählungen trägt zur schlechten Stellung der christlichen Kirchen im heutigen öffentlichen Diskurs zu wichtigen gesellschaftlichen Themen bei, z. B. hinsichtlich des Verhältnisses zu Demokratie und Freiheit oder bei Fragen der Menschenwürde, unabhängig von Herkunft und Religion. In der politischen Debatte lässt sich gut aufzeigen, wie die antikirchlichen historischen Diskurse und Narrative immer noch eine Rolle spielen. Die alten negativen Stereotype der säkularen Öffentlichkeit gegenüber der katholischen Kirche sind auch in unserer Zeit weitgehend erhalten geblieben. Die Besteuerung der Restitutionszahlungen ist jedoch nicht die einzige Änderung, die Babiš in Bezug auf die Religionsgemeinschaften vorhat. Medienberichten zufolge soll es auch zu Veränderungen in der Verwaltung kommen, und die Zuständigkeit für Kirchen dem Finanzressort übertragen werden. Bisher ist das Kulturressort für die Kirchen und Religionsgemeinschaften verantwortlich. Meiner Ansicht liegt die Verwaltungskompetenz für die Kirchen und Religionsgemeinschaften jedoch eher im kulturellen Bereich, als im rein wirtschaftlich-finanziellen Sektor der Staatsverwaltung.

Wie breit war und ist das 2013 geschlossene Restitutionsabkommen gesellschaftlich und bei den Religionsgemeinschaften abgestützt?
Eine positive Erfahrung bei den Debatten über das Restitutionsabkommen in den Jahren 2012 und 2013 ist meiner Ansicht die einheitliche Haltung aller christlichen Kirchen und der Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft bei den Verhandlungen mit den Regierungsstellen. Ich hoffe, dass dieser Geist der ökumenischen Zusammenarbeit auch in diesem Moment erhalten bleibt.

Dr. Jaroslav Šebek, Historisches Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.