Stimmen zum Kyjiwer Höhlenkloster: Sergii Bortnyk
Sergii Bortnyk
Kein Konflikt um illegal errichtete Gebäude, sondern staatlicher Druckversuch auf die UOK
Am 10. März 2023 wurde eine „Warnung“ veröffentlicht, dass das Nationale Reservat Kyjiwer Höhlenkloster/Lavra den 2013 unterzeichneten Nutzungsvertrag mit dem Männerkloster „Kyjiwer Höhlenkloster/Lavra“ der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) auf den 29. März 2023 kündigt. Begründet wurde die Kündigung mit Verstößen gegen Absatz 8.1. des Vertrags, der Gründe für eine einseitige Kündigung des Vertrags auflistet. Darunter fallen missbräuchliche Verwendung, ungerechtfertigte Erhaltung sowie mögliche „andere“ Gründe. Eine interministerielle Arbeitsgruppe hat diesbezüglich 36 illegal errichtete Objekte ohne offizielle Erlaubnis ausfindig gemacht. Diese Liste umfasst nicht nur Gebäude, sondern auch mehrere Denkmäler für verschiedene Heilige und ein Gedenkkreuz zum 2000. Jahrestag der Geburt Christi. Formell sind die Konfliktparteien der amtierende Direktor des Reservats, Olexander Rudnyk (bis jetzt offiziell nicht ernannt, obwohl er seit September 2017 „amtierend“ ist) und Metropolit Pavlo (Lebid), der seit 1994 Abt des Höhlenklosters ist.
Auf den ersten Blick hat dieser Streit weder etwas mit dem aktuellen russischen Krieg gegen die Ukraine noch mit der 2018/19 neu gegründeten Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) zu tun. Erinnern sollte man sich jedoch an den Beginn des Konflikts um das Höhlenkloster: Am 1. Dezember 2022 hat Präsident Zelenskyj den Auftrag erteilt, die Nutzungsbedingungen des unteren Teils des Höhlenklosters zu überprüfen. Bereits einen Tag später wurde am 2. Dezember die neue religiöse Organisation „Kyjiwer Höhlenkloster“ als Bestandteil der OKU offiziell registriert. Die Frage einer Ausweitung des Einflusses der OKU auf das Höhlenkloster soll ein zentrales Thema bei der Entlassung von Olena Bohdan, der vormaligen Leiterin des Staatsdienstes für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit, gewesen sein. Am 6. Dezember wurde ihr gekündigt, und bereits zwei Wochen später wurde ihr Nachfolger Viktor Yelenskyj offiziell ernannt. Dieser kritisiert in seinen Vorträgen und Interviews nicht nur die UOK heftig für ihre Verbindungen zur „Kirchenleitung im Aggressor-Staat“, sondern unterstützt auch aktiv eine Stärkung der OKU.
Die Position von Kulturminister Oleksandr Tkatschenko ist dabei ebenfalls aufschlussreich. In den letzten Tagen hat er einige Erklärungen abgegeben, in denen er die Entscheidung, den Vertrag zu kündigen, unterschiedlich interpretierte. Zunächst hieß es, es sei obligatorisch und bedingungslos, dass alle Mönche, die momentan im Höhlenkloster leben, das Areal räumen müssen. Dann sprach er nur noch über einige Metropoliten, die aufgrund ihrer Verbindungen zum Aggressor-Staat unter Sanktionen stehen. Zu diesen Metropoliten gehören der Abt des Höhlenklosters, Metropolit Pavlo, und der Geschäftsführer der UOK, Metropolit Antonij (Pakanitsch). Eine weitere Wendung war Tkatschenkos Anspielung, dass die Mönche bei einem Übertritt zur OKU im Höhlenkloster verbleiben dürfen. Das zeigt, dass die Kündigung des Vertrags nur eine Form der Einflussnahme ist, um die UOK zu einer Annäherung an die OKU zu motivieren.
Nach den verschiedenen Erklärungen von Tkatschenko veröffentlichte Metropolit Epifanij, das Oberhaupt der OKU, am 18. März einen Aufruf an die Mönche, in seine Jurisdiktion zu wechseln: „Es geht auf keinen Fall darum, das Höhlenkloster zu schließen, Gebete, Gottesdienste und das monastische Leben darin einzustellen. Liebe Brüder, das Höhlenkloster soll kein Instrument des Kampfes gegen die Ukraine sein, sondern im Gegenteil – ein Ort des Gebets, des frommen monastischen Lebens, ein Ort der Unterstützung für unser Volk. Setzt euren Dienst im Höhlenkloster fort, aber nicht mit der Moskauer geistlichen Autorität, sondern zusammen mit der kanonischen Orthodoxen Kirche der Ukraine! Unsere Herzen sind offen für die Einigung.“ Meiner Ansicht zeigt diese Episode, dass nicht illegal gebaute Objekte den Ausschlag zur Kündigung der Nutzungsvereinbarung gegeben haben, sondern dieser Akt Teil der geplanten Politik des Staates mit Blick auf die UOK ist.
Drei Dimensionen des Höhlenklosters
Was bedeutet das Höhlenkloster für die UOK, und wie wäre sie von einer Räumung des Areals betroffen? Erstens ist die Lavra die Verwaltungszentrale der UOK, an der sowohl Metropolit Onufrij als auch der Geschäftsführer der UOK, Metropolit Antonij, ihren Sitz haben. Im Höhlenkloster gibt es auch ein Gebäude für die synodalen Abteilungen, das vor etwa 20 Jahren neu gebaut wurde. Dort befinden sich Büros von mir und meinen Kollegen im Außenamt der Kirche.
Zweitens befinden sich im Höhlenkloster ein Priesterseminar und die theologische Akademie. Diese umfassen zwei Ausbildungsgebäude und zwei weitere Wohngebäude für Studenten und Dozierende. Für das Verwaltungszentrum der UOK sind die Gebäude des Höhlenklosters nur ein Ort der Arbeit. Für die Studenten und viele Dozierenden (von denen mehrere Mönche sind) ist es jedoch auch ein Wohnort. Und wohin mit einer Bildungseinrichtung mit mehr als 300 stationären Studenten und Dozierenden umziehen, ist eine Frage, die sich kaum innerhalb weniger Wochen klären lässt.
Drittens ist das Höhlenkloster natürlich ein Ort für die Mönche. Häufig wird die Zahl von ca. 200 Mönchen angeführt, dazu sollte man aber noch Novizen, Arbeiter und andere hinzurechnen. In Anbetracht der Tatsache, dass die UOK in der Ukraine über mehr als 200 Klöster und mehr als 4500 Mönche und Nonnen verfügt, ließe sich dieses Problem lösen, indem die Mönche aus Kyjiw in andere Klöster der UOK umgesiedelt würden.
Abgesehen von diesen drei institutionellen Dimensionen ist das Höhlenkloster auch ein Symbol: Ein Symbol der Spiritualität, mit seinen Höhlen, den Reliquien der Heiligen und einer langen Geschichte, in der sich die Geschichte des Christentums auf dem Gebiet der heutigen Ukraine widerspiegelt. Das Höhlenkloster wurde Mitte des 11. Jahrhunderts gegründet, die größte Verfolgung und Schließung erlebte es im 20. Jahrhundert. Seit 1988 wurde der untere Teil des Höhlenklosters allmählich an die Kirche zurückgegeben – unter anderem wurde hier 1989 das Priesterseminar wieder eröffnet.
In seinem Bestreben, die „Moskowiter Popen“ zu vertreiben, orientiert sich der Staat an soziologischen Umfragen, die aufzeigen, dass die Unterstützung der OKU in der ukrainischen Gesellschaft deutlich größer ist als die Unterstützung der UOK. Dabei wird jedoch das Problem der sog. „Sofagläubigen“ übersehen: diese bevorzugen die OKU als „authentische ukrainische Kirche“, besuchen jedoch nur sehr wenig die Gottesdienste und sind daher für die finanzielle Unterstützung ihrer Kirchgemeinden nicht verantwortlich. Die ukrainische Gesellschaft ist mehrheitlich säkular geprägt. Die Anzahl der Getauften (der offiziell „Orthodoxen“) übersteigt um ein Vielfaches die Anzahl der praktizierenden Gläubigen, die wöchentlich oder mindestens monatlich Gottesdienste besuchen. Aber die Kirche ist weniger Ideologie als eucharistische Gemeinschaften, und deshalb kann die orthodoxe Kirche ohne Gottesdienste, ohne Gebete und ohne Orientierung an den Heiligen nicht vollständig existieren.
Ungewisse Zukunftsperspektiven
Im Falle einer Räumung der UOK-Strukturen aus dem Höhlenkloster stellt sich die Frage, was mit den vielen Gebäuden geschieht. Der Museumskomplex hätte kaum genug Ressourcen, um die Gebäude und das Areal in Ordnung zu halten. Eine andere Möglichkeit wäre, Gebäude für weltliche Zwecke zu vermieten – für Wohnungen, für Restaurants, für Ruheplätze, und damit Geld zu verdienen. Aber diese Option scheint nicht besonders realistisch.
Möglich wäre eine Übergabe des Klosters an die OKU. Die derzeitige Anzahl der Mönche und der Nonnen in der OKU in der ganzen Ukraine ist jedoch nur geringfügig größer als die Gesamtzahl der Mönche der UOK, die im Höhlenkloster leben. Laut der offiziellen Statistik gab es Anfang 2021 in der OKU 233 Mönche und Nonnen, die sich auf 79 Klöster verteilten, von denen sich eine Reihe ebenfalls im Besitz des Staates befindet. Natürlich könnten diese alle ins Höhlenkloster umgesiedelt werden und so die Mönche der UOK ersetzen. Aber auch diese Option erscheint mir unwahrscheinlich.
Ich vermute, dass die Nutzungsvereinbarung nicht primär aus dem edlen Motiv gekündigt wurde, um das historische Denkmal vor unkoordinierten Bauarbeiten zu schützen, sondern als Druckmittel auf die Führung der UOK. Der Staat möchte größere Unterstützung von ihrer Seite sehen: Buße für die prorussische Haltung einer Reihe ihrer Bischöfe und Priester, kirchliche Sanktionen und konkrete Bestrafungen von „Kollaborateuren in Priesterkleidung“ und schließlich die Vereinigung des patriotischen Teils der UOK mit der Struktur der OKU.
Vor vier Jahren baute das Team von Präsident Poroschenko dessen kirchliche Politik ähnlich auf. Es bemühte sich um eine schnelle Vereinigung von UOK und OKU, ohne sich der tiefgreifenden Differenzen zwischen ihnen bewusst zu sein. Die gegenwärtige Staatsmacht versteht die Kirchenpolitik noch weniger. Für viele in den staatlichen Behörden ist nicht klar, warum sich patriotische Kleriker der UOK nicht mit der OKU vereinigen wollen, sondern lieber in einer Struktur mit „Kollaborateuren“ bleiben.
Im Endeffekt wird das Problem des Höhlenklosters durch die Füße der Mönche gelöst. Bald werden wir sehen, wie weit die Mönche vom Höhlenkloster geneigt sind, sich mit der OKU zu vereinigen. Ich weiß von vielen Mönchen, dass sie politisch pro-ukrainisch sind. Dies ist für sie jedoch kein Grund, in eine andere Jurisdiktion zu wechseln, die in ihrer Wahrnehmung kanonisch fragwürdig geblieben ist. Ein klares Problem gibt es mit der UOK-Leitung, die in ihren eigenen Vorstellungen lebt. Es sind ältere Männer, von denen viele in russischen Priesterseminaren in der sowjetischen Zeit studiert haben.
Aber die Orthodoxe Kirche ist vor allem ein Netzwerk horizontaler Verbindungen. Diese gehen nicht verloren, wenn das kirchliche Verwaltungszentrum zerstört wird. Im Zusammenhang mit den Übertritten von Kirchgemeinden von der UOK in die OKU ist statistisch der Wechsel von Gemeinden ohne Priester bekannt – nach einigen Schätzungen betragen diese Fälle bis zu 90 Prozent. Dies bedeutet, dass die OKU mehrere Pfarreien eher formell auf dem Papier besitzt, dazu genießt sie eine große ideologische Unterstützung seitens der öffentlichen Meinung, aber auf der anderen Seite steht ein schwaches Netzwerk von realen Pfarreien mit einem etablierten Gottesdienstleben. Ich befürchte, dass Ähnliches mit dem Höhlenkloster passieren kann. Es gibt öffentlichen Druck von „breiten Schichten der Gesellschaft“ nach einer harten Haltung gegenüber der UOK, und es gibt eine Reaktion des Präsidentenamtes auf diese Erwartungen. Es ist eine eher virtuelle Kommunikation, und hier werden Gewinne für den ukrainischen Staat erwartet – wenn nicht an der Frontlinie, dann zumindest über die „inneren Feinde“ des Staates. In diesem Kontext spielen sicherlich auch die Präsidentschaftswahlen 2024 eine Rolle.
Am 20. März begaben sich die Mitglieder des Hl. Synods der UOK zum Präsidialpalast, um sich mit Zelenskyj zu treffen. Sie standen etwa zwei Stunden in der Kälte und kehrten dann unverrichteter Dinge zurück. In seiner abendlichen Ansprache erwähnte Präsident Zelenskyj diesen Besuch mit keinem Wort. Daher ist es offensichtlich, dass die Staatsmacht gegenüber der UOK hart eingestellt ist und bleibt. Aber ich befürchte, das Resultat wird weniger eine Änderung der Position der UOK-Leitung und eine Stärkung der OKU als einer patriotisch gestimmten kirchlichen Struktur sein, als vielmehr eine deutliche Schwächung der Rolle der Religion in der ukrainischen Gesellschaft.
Sergii Bortnyk, Dr., Professor an der Theologischen Akademie der UOK in Kyjiw und Direktor der gemeinnützigen Stiftung „Akademische Initiative“.