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Emil Hilton Saggau zum Kirchenkonflikt in Montenegro

18. Juli 2019
In letzter Zeit ist es zwischen der Serbischen Orthodoxen Kirche und der montenegrinischen Staatsführung aufgrund eines Entwurfs für ein neues Religionsgesetz zu Spannungen gekommen. Wie steht die nicht anerkannte Montenegrinische Orthodoxe Kirche zum Gesetzesentwurf?
Das selbsternannte Oberhaupt der Montenegrinischen Orthodoxen Kirche (MOK), Mihailo Dedić, hat den Gesetzesentwurf mehrfach unterstützt. Der Versuch der Regierung und des Präsidenten, eine unabhängige orthodoxe Kirche in Montenegro zu schaffen und zu stützen – unter anderem durch den Entwurf für das Religionsgesetz –, wird von der montenegrinischen Kirche begrüßt. Dedić ist ein lautstarker Kritiker der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) in Montenegro, die er beschuldigt, eher eine serbische nationalistische Organisation als eine Kirche zu sein.

Es scheint, als könnte die MOK am meisten vom Gesetzesentwurf profitieren, da sie – falls das neue Gesetz angenommen wird – Kirchengebäude, die jetzt der SOK gehören, entweder für sich beanspruchen oder sie vom Staat enteignen lassen kann, um sie dann unter dessen Schirmherrschaft für Gottesdienste zu nutzen. Zweitens könnte die nicht anerkannte MOK mehr Dynamik gewinnen, wenn der Entwurf vollständig, mit großen Auswirkungen auf die SOK in Montenegro umgesetzt wird. Weitere serbische Geistliche könnten ausgewiesen und ihnen die Einreise verweigert werden und substantielle Ressourcen der SOK würden in Konflikten um Eigentum und Anerkennung mit dem Staat gebunden.

Allerdings liegt der Entwurf noch nicht in einer endgültigen Version vor und ist noch nicht vom Parlament verabschiedet. Die endgültige Version hängt davon ab, wie die Regierung die Begutachtung der Venedig Kommission umsetzt. Die Kommission hat im Juni ihre Einschätzung zum Gesetzesentwurf abgegeben, die eine ausgeglichene Beurteilung der meisten Aspekte des Gesetzes beinhaltet. Die Kommission hat jedoch eine Stellungnahme zu einer der größten Fragen vermieden, da sie nicht „historische Fakten beurteilen“ will. Daher ist die brennende Frage in Montenegro heute, was der nächste Schritt der Regierung sein wird. Es ist noch nicht entschieden, was die endgültige Version des Gesetzes beinhalten wird, oder ob es das Parlament passieren und umgesetzt werden wird. Es gibt vier große Fragen, die noch immer diskutiert werden: 1) die Anerkennung von religiösen Gemeinschaften, 2) Eigentum und Restitution, 3) religiöse Bildung und 4) die grenzüberschreitende Mobilität von Geistlichen.

Das Vorgehen der Regierung gegen die SOK 2018/2019 scheint auf die Stoßrichtung in einigen der Fragen hinzuweisen. Die Regierung hat mehrere serbische Geistliche ausgewiesen und versucht, Kontrolle über religiöse Stätten zu erlangen, was zeigt, wie die Regierung wahrscheinlich das neue Gesetz anzuwenden gedenkt. Dies wird die SOK in Montenegro bedrohen und könnte der MOK zum Vorteil gereichen.

Wie ist die Beziehung zwischen der MOK und dem Staat? War die Kirche an der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs beteiligt?
Es gibt keine starke und direkte formelle Verbindung zwischen der MOK und der Staatsführung. Der Präsident unterstützt die Kirche in Statements, und der Staat hat sie anerkannt. Die Regierung benutzt die MOK als eine Art kulturelles und nationales Symbol, um so Unterstützung für den montenegrinischen Nationalismus zu demonstrieren. Es ist eher die enge Verbindung der Kirche zu führenden Vertretern der montenegrinischen Nationalbewegung und ihren NGOs und Medien, die für den Zugang zum Staatsapparat entscheidend ist. Der Staat wird von diesen Kreisen stark beeinflusst, wenn es um staatliche kulturelle und religiöse Strategien wie Sprach- oder Bildungspolitik geht.

Montenegrinische Nationalisten unterstützen die MOK schon lang und sprechen sich für eine Politik aus, die deren Position in Montenegro verbessern würde. Sie betrachten die SOK und insbesondere deren Metropoliten Amfilohije (Radović) als Fremdkörper, der serbische Ansprüche auf Montenegro und sein Erbe stellt. Bis zum ersten Entwurf für ein Religionsgesetz 2016 waren der Staat und viele Mitglieder der Regierungspartei in der Frage der Religionspolitik passiver.

Die rechtlichen, historischen und ekklesiologischen Argumentationslinien der nicht anerkannten MOK wurden oft von nationalistischen akademischen Kreisen außerhalb der Kirche entwickelt. Das beste Beispiel sind Goran Sekulović und Novak Adžić, deren Arbeiten die rechtliche, historische und ekklesiologische Forderung nach Unabhängigkeit, Eigentum und Autokephalie geformt hat. Adžić wiederholte in einem Kommentar im Januar 2019 in einer montenegrinischen Zeitung seine Argumentationslinie zu Eigentumsrechten, die als intellektueller Hintergrund für den neuen Gesetzesentwurf von 2019 gedient zu haben scheint. Das aktuelle Hauptargument des Staats ist, dass die Vereinigung des Königreichs Montenegro mit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (später Jugoslawien) 1918 illegal war und in der Folge auch die Vereinigung der damaligen Metropolie von Cetinje mit dem Belgrader Patriarchat 1920. Impliziert wird damit, dass die Orthodoxe Kirche in Montenegro von Belgrad unabhängig sein sollte und der gesamte orthodoxe Kirchenbesitz in Montenegro dem Staat gehört und nicht der SOK.

Die SOK befürchtet, dass der Staat dieser Argumentationslinie folgen wird und sie auch auf die Gerichte überschwappen wird, falls das neue Gesetz verabschiedet wird. Die SOK hat daher mit Empörung und öffentlichen Demonstrationen reagiert und gesagt, sie werde ihre Kirche und religiösen Stätten mit ihrem Leben verteidigen.

Wie viel Unterstützung genießt die MOK in der montenegrinischen Gesellschaft? Wie haben sich die Zahlen ihrer Gläubigen seit der Unabhängigkeit des Landes entwickelt?
Es gibt keine genauen und zuverlässigen Daten zu den Mitgliedern der MOK. Die neutralsten Quellen zeigen eine Unterstützung von rund 27 Prozent der Bevölkerung, das ist ca. ein Drittel der orthodoxen Bevölkerung in Montenegro. Andere Quellen schätzen, dass 16 Prozent der Bevölkerung (ca. 47‘000 Personen) Mitglieder der Kirche sind. Die anderen zwei Drittel der orthodoxen Bevölkerung Montenegros unterstützen die SOK. Diese Zahlen waren während der letzten zwei Jahrzehnte, seit die MOK im Jahr 2000 vom Staat anerkannt wurde, ziemlich stabil. Allerdings scheinen öffentliche Demonstrationen und andere Arten von Veranstaltungen der MOK um die Unabhängigkeit im Jahr 2006 herum eine größere Menge angezogen zu haben als heute. Solche Aktivitäten sind heute seltener, was darauf hindeuten könnte, dass die Unterstützung für die Kirche schwindet oder passiver geworden ist. Die MOK hat in den letzten zehn Jahren versucht, ihre Gemeinschaft zu stabilisieren und durch mehr lokale Initiativen und Gottesdienste stärker und dauerhafter in der montenegrinischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Sie hat eine neue Kirche in der alten Hauptstadt Cetinje gebaut und einige Gemeindekirchen in Anspruch genommen, aber die Zahlen scheinen nicht schnell zu steigen, weder in Bezug auf die Geistlichen noch die Gemeinden und Gottesdienste oder die Gläubigen. Seit der Unabhängigkeit scheint die religiöse Landschaft in eine Pattsituation geraten zu sein. Der Gesetzesentwurf könnte eine Reaktion der Regierung darauf sein.

Ein interessanter Aspekt des Konflikts ist, dass laut einigen Studien und Umfragen die Mehrheit der orthodoxen Bevölkerung in Montenegro sich eher mit einer neutralen Form der Orthodoxie identifiziert und weder zu einer montenegrinischen noch zu einer serbischen Kirche gehören möchte. Es ist ein häufiges Phänomen, das ich oft beobachtet habe, dass Bürger, die die Regierung unterstützen und gegen den serbischen Metropoliten Amfilohije sind, trotzdem Gottesdienste in einer Kirche der SOK mit einem serbischen Priester besuchen. Der Hintergrund ist oft, dass sie sich mit ihrer lokalen familiären Kirche identifizieren ohne Rücksicht darauf, wer die Kirche besitzt oder betreibt, solange sie orthodox ist. Diese Mehrheit der orthodoxen montenegrinischen Bürger interessiert sich nicht für Kirchenpolitik, sondern folgt einfach ihrer lokalen Familientradition. Das verdeutlicht, dass der aktuelle Konflikt eher die politische, akademische und kirchliche Elite der montenegrinischen Gesellschaft betrifft, als die breitere Öffentlichkeit.

Zurzeit versuchen sowohl die SOK in Montenegro als auch die selbsternannte MOK und die Regierung die breite und passive Gruppe Orthodoxer in Montenegro zu aktivieren. Der Ausgang des Konflikts über den Gesetzesentwurf hängt davon ab, wem es gelingt, die öffentliche Meinung und diese stille orthodoxe Mehrheit zu gewinnen.

Emil Hilton Saggau ist Doktorand in der Abteilung für Kirchengeschichte an der Universität Kopenhagen. Sein Spezialgebiet sind orthodoxe Kirchen in der ehemaligen jugoslawischen Region. Mehr zur Montenegrinischen Orthodoxen Kirche: Emil Hilton Saggau: The self-proclaimed Montenegrin Orthodox Church: A paper tiger or a resurgent church. In: Mirko Blagojević (ed.): Religion in Contemporary Society. Belgrad 2017, S. 31-54.

Übersetzung aus dem Englischen: Natalija Zenger.