Polen: Bischöfliche Expertenkommission zu Johannes Paul II. und Vorwurf der Missbrauchsvertuschung

23. März 2023

Die Polnische Bischofskonferenz hat die anhaltenden Vorwürfe einer Missbrauchsvertuschung durch Papst Johannes Paul II. als „präzedenzlose Attacke“ zurückgewiesen, will aber ein Expertenteam für weitere Recherchen in staatlichen und kirchlichen Archiven einsetzen. Erzbischof Wojciech Polak, Delegierter der Bischofskonferenz für den Schutz von Kindern und Minderjährigen kündigte am 14. März an, dass ein neues Team unabhängiger Fachleute weitere Untersuchungen über den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch bestimmte Geistliche in Polen durchführen soll: „Die Aufgabe des vom Episkopat zu ernennenden Expertenteams wird darin bestehen, die in den staatlichen und kirchlichen Archiven vorhandenen Dokumente gründlich zu prüfen, um ihren Inhalt unter Berücksichtigung der Gesetze und des Wissensstandes sowie des soziokulturellen Kontextes in seiner Gesamtheit darzustellen.“ Kein einziger Bischof habe sich dagegen ausgesprochen.

Eine weitere Stellungnahme nach der 394. Vollversammlung der Bischofskonferenz zum „Heiligen Johannes Paul dem Großen“ vom 14. März, der „wie niemand anderer dem Namen Polens in der ganzen Welt Ehre gemacht habe“, hält fest, dass der durchgeführte Heiligsprechungsprozess, einschließlich einer gründlichen, wissenschaftlichen historischen Analyse, keinen Zweifel an der Heiligkeit von Johannes Paul II. aufkommen lasse. Wie Moses habe er das polnische Volk in die Freiheit geführt und an die geistige Einheit Europas und die christlichen Wurzeln seiner Kultur und Zivilisation appelliert. Diesen Schatz wolle man sich nicht aufgrund einer journalistischen Diskussion von Material, das vom kommunistischen Sicherheitsdienst produziert wurde, nehmen lassen: „Das Urteil der Kirche über die Heiligkeit eines Menschen wird nicht auf der Grundlage seiner individuellen Entscheidungen oder deren Fehlen gefällt. Es wird die Gesamtheit des Lebens und der Tätigkeiten einer Person und die daraus entstehenden Früchte berücksichtigt.“ Papst Johannes Paul II. habe sexuelle Gewalt gegen Kinder als eines der schwersten Verbrechen eingestuft und alle Episkopate der Welt verpflichtet, spezifische Normen für den Umgang mit solchen Fällen einzuführen und all jenen, die durch Menschen der Kirche verletzt wurden, zuzuhören und ihnen konkret zu helfen. Die Bischöfe appellierten an alle, die Person des polnischen Papstes nicht für aktuelle politische Zwecke zu missbrauchen.

In einem TV-Interview vom 12. März bekräftigte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki, das Johannes Paul II. wolle, dass die Wahrheit durch gründliche Forschung entdeckt wird, nicht durch unzuverlässige Medienberichte. In einer Erklärung vom 9. März wies Gądecki darauf hin, dass die Journalisten weder den historischen und sozialen Kontext noch bereits vorhandene Berichte und Studien, welche die Worte und Taten des Papstes zuverlässig belegten, nicht berücksichtigt hätten. Allerdings hatte Marcin Gutowski, Regisseur der aufwühlenden Dokumentarfilm-Serie „Scheuklappe (poln. Bielmo), Johannes Paul II. musste es wissen, und zwar seit vielen Jahren“ für seine Recherchen bisher keinen Zugang zum Archiv der Krakauer Diözese erhalten.

Am 14. März wurde zudem der Bericht über den „Schutz von Minderjährigen und gefährdeten Personen und Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche in Polen“ für das Jahr 2022 veröffentlicht: Von Januar bis Ende Dezember 2022 gingen bei den Diözesen und männlichen Ordensgemeinschaften 84 Meldungen über sexuellen Missbrauch zwischen 1965 und 2022 ein. 25 Prozent dieser Meldungen betrafen den Missbrauch von Minderjährigen im Alter unter 15 Jahren. Der Bericht konstatiert, dass das kirchliche Meldesystem bezüglich sexuellen Missbrauch immer effizienter werde. Zurzeit gibt es landesweit 179 Delegierte und Beauftragte für den Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Am 9. März hatte auch Polens Parlament eine Entschließung „zur Verteidigung des guten Namens des Heiligen Johannes Paul II.“ verabschiedet, die mit 271 gegen 43 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) angenommen wurde: Darin heißt es: „Der heilige Johannes Paul II. nimmt einen besonderen Platz in der Geschichte Polens und Europas ein. Sein entschlossenes Eintreten für das Recht unseres Heimatlandes auf Freiheit unter den europäischen Nationen, sein praktisches Eintreten für die Rechte unserer Nation haben den Heiligen Vater zum bedeutendsten der Väter der Unabhängigkeit Polens gemacht.“ Die Bürgerkoalition boykottierte als größte Oppositionsfraktion die Abstimmung.

Der Publizist Krzysztof Bramorski kritisierte in der katholischen Zeitschrift Więź (Band) den Beschluss der Bischofskonferenz, ein eigenes Expertenteam zu ernennen. Damit es in der verfahrenen Situation zu einem Durchbruch komme, „müssen die Archive erstens ehrlich geöffnet und ohne Vorbedingungen für die historische Forschung zugänglich gemacht werden. […] Es gibt keinen Grund, warum es nur eine bischöflich genehmigte Kommission geben sollte. Ohne den Bischöfen ihren guten Willen und ihre ehrlichen Absichten abzusprechen, wird ein solches Gremium immer mit einer bestimmten ‚Selbstkontrolle‘ verbunden sein.“ Eine Schwäche der katholischen Kirche in Polen bestehe im mangelnden Vertrauen in die Arbeit von Laien.

Regula Zwahlen

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