Russland: Russische Kirche erinnert an kurze Aufbruchszeit von Sommer 1917

28. September 2017
Die russisch-orthodoxe Kirche bereitet für die erste Dezemberwoche umfangreiche 100-Jahr-Gedenkfeiern an das Landeskonzil von 1917/18, die Wiederherstellung des Moskauer Patriarchats und den Beginn der Kirchenverfolgung durch die Kommunisten vor. Zu den Gedenkfeiern werden Repräsentanten der christlichen Kirchen aus aller Welt erwartet. Metropolit Ilarion, Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, überbrachte jetzt die entsprechende Einladung an den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. in Istanbul.

Auch in der Diaspora wird des Landeskonzils von 1917/18 gedacht. So findet in Paris von 8. bis 10. Dezember am Institut Saint-Serge ein internationales Kolloquium zum Thema statt. Der Titel lautet "Die Rezeption des Moskauer Konzils (1917-2017): Wie kann die kirchliche Konziliarität gelebt und mitgeteilt werden?" Unter den Referenten ist auch P. Hyacinthe Destivelle vom Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen.

Von besonderer Bedeutung ist für die russisch-orthodoxe Kirche das Gedenken an den 100. Jahrestag der Wahl des - heilig gesprochenen - Patriarchen Tichon. Mit dieser Wahl wurde nach 200 Jahren das Moskauer Patriarchat wiederhergestellt. Zar Peter der Große hatte 1721 das 1589 begründete Patriarchat aufgehoben. Oberste Kirchenbehörde wurde der "Heiligste Dirigierende Synod", der seinerseits unter der Kontrolle des "Oberprokurors", eines weltlichen Beamten, stand.

Die Abschaffung des Patriarchats und die Einführung einer protestantisch inspirierten Synodalverfassung blieb in der russisch-orthodoxen Kirche nahezu 200 Jahre hindurch höchst umstritten. Erst die Februarrevolution von 1917 schuf die Voraussetzungen für die Wiederherstellung des Patriarchats. Bereits wenige Tage nach der Machtübernahme durch die Provisorische Regierung wurde ein Erlass über die Trennung der Kirche vom Staat verkündet. Im August 1917 hob ein weiterer Beschluss das Amt des "Oberprokurors" auf.

Die endgültige Entscheidung über die Wahl des neuen Patriarchen sollte auf einem Landeskonzil der russisch-orthodoxen Kirche fallen. Zur Koordination der Vorbereitungen für dieses höchste kirchliche Forum bildete der Heilige Synod im Mai 1917 einen "präkonziliaren Rat". Was die Neugründung des Patriarchats angeht, so waren die Meinungen noch im Vorfeld des Konzils gespalten.

Das Landeskonzil wurde am 28. August 1917 in Moskau feierlich eröffnet. Unter den 564 Mitgliedern waren Bischöfe, Pfarrer, Diakone, Mönche und Nonnen sowie 299 Laien. Die Wiederherstellung des Patriarchats stand als Hauptthema zur Debatte und sorgte für heftige Auseinandersetzungen. Dabei suchten die Anhänger wie die Gegner des Patriarchats ihre Position mit historischen, politischen, moralischen und theologischen Argumenten zu stützen.

Unter den Mitgliedern des Konzils stellten die Anhänger des Patriarchats die Mehrheit. Viele Mitglieder plädierten aber auch für eine paritätische Besetzung des Heiligen Synods durch Bischöfe, Priester und Laien, wobei alle demokratisch gewählt werden sollten. Nachdem man sich auf Wiedereinführung des Patriarchats, "allgemeine Richtlinien über die oberste Leitung der Kirche" und einen komplizierten Abstimmungsmodus für die Patriarchenwahl geeinigt hatte, kam es im November 1917 zur Wahl. Nach vier Wahlgängen zog der Einsiedler-Mönch Aleksij aus Zosimova Pustyn das Los mit dem Namen von Metropolit Tichon von Moskau. Die Inthronisierungszeremonie des gewählten Patriarchen fand am 21. November 1917 in der Kathedrale der Entschlafung der Muttergottes im Kreml statt.

Metropolit Tichon (bürgerlicher Name Wasilij I. Bellawin) wurde 1865 als Sohn eines Priesters geboren. 1892 legte er die Mönchsgelübde ab, bereits 1897 wurde er in St. Petersburg zum Bischof geweiht. Er wirkte zunächst ein Jahr lang als Bischof von Lublin und wurde dann Bischof von Alaska und als solcher Oberhaupt aller Orthodoxen Nordamerikas. In den USA wurde der Bischof durch innovative pastorale und soziale Initiativen bekannt. 1907 wurde er Erzbischof von Jaroslawl, 1914 Erzbischof von Wilna (Vilnius) und im Juni 1917 Metropolit von Moskau.

Patriarch Tichon schloss die Möglichkeit aus, dass ein Christ sich am Bürgerkrieg beteilige: "Nein, lieber sollen sie uns blutige Wunden zufügen, als dass wir uns der Vergeltung zuwenden, am Ende noch Vergeltung in Form von Massakern, an unseren Feinden oder an denen, die uns der Quell unseres Unglücks zu sein scheinen". 1922 wurde der Patriarch vom bolschewistischen Regime verhaftet und später im Moskauer Donskoi-Kloster interniert. Eine vom Regime inspirierte und von den sogenannten "Erneuerern" dominierte Kirchenversammlung beschloss die Absetzung des Patriarchen. Aber 1923 kam er wieder frei, die Beschlüsse der "Erneuerer" wurden zurückgenommen. 1925 starb der Patriarch, es gab Vermutungen, dass er vergiftet worden sei.

Am 28. August fand in Moskau aus Anlass des Patriarchatserneuerungs-Jubiläums ein Gedenken an die Märtyrer-Mitglieder des Landeskonzils statt. Patriarch Kirill I. zelebrierte den Gedächtnisgottesdienst ("moleben") in der Kathedrale der Entschlafung der Mutter Gottes im Kreml. Unter den heilig gesprochenen Märtyrern sind nahezu 30 russisch-orthodoxe Metropoliten und Bischöfe. In einer Botschaft an die "Bischöfe, Priester, Mönche und Nonnen und alle getreuen Kinder der russisch-orthodoxen Kirche" erinnerte der Patriarch daran, dass der Inhalt des Landeskonzils von 1917/18 vom Volk Gottes "noch nicht voll erfasst und geschätzt" wird. Er sei zutiefst überzeugt, dass das Erbe des Konzils ernsthaftes Studium und ernsthafte Reflexion verlange, denn viele der damals geäußerten Ideen seien auch für die Situation von heute nützlich.

Kirill I. verwies auf die Bemühungen um die wissenschaftliche Herausgabe der Dokumente des Konzils. Das Archiv des Konzils befindet sich heute im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation. Im Rahmen des Projekts zur wissenschaftlichen Publikation der Konzilsdokumente stellt sich heute die Aufgabe, den ganzen erhaltenen Korpus der Konzilsunterlagen nach zeitgenössischen wissenschaftlichen Kriterien zu veröffentlichen. Jeder der bisher erschienenen Bände ist mit einer wissenschaftlichen Einleitung und Kommentaren versehen, die dem heutigen Publikum die Bedeutung der Arbeit der betreffenden Konzilsabteilungen erschließen. (Quelle: Katholische Presseagentur Kathpress, www.kathpress.at)