Russland: Kirchliche Vertreter kritisieren Proteste

11. Februar 2021

Mehrere hochrangige Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) haben sich kritisch zu den Protesten in Russland geäußert. Insbesondere die Teilnahme junger Menschen an den Aktionen stieß auf Kritik. So sprach der russische Patriarch Kirill von einer „Krise der jungen Generation“. Es sei zu sehen, wie „unsere Jugend nicht selten buchstäblich verrückt wird, wobei sie sämtliche Orientierung im Leben verliert“. Dies könne schwere persönliche und gesellschaftliche Folgen haben. Dabei verwies Kirill auf den „riesigen Einfluss“ der Medien, insbesondere Fernsehen und Internet. Um „zerstörerische Einflüsse“ abwehren zu können, müssten bei Kindern „richtige Gedanken und richtige Überzeugungen“ gebildet werden. Dabei seien vor allem die Eltern gefragt, erklärte der Patriarch.

In seiner wöchentlichen Sendung „Kirche und Welt“ auf Rossija-24 ging auch Metropolit Ilarion (Alfejev), der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, auf die Proteste und die Jugend ein. Er bemängelte, Kinder und Jugendliche würden „bewusst nicht in die Politik, sondern in eine politische Konfrontation gezogen“. Das Einbeziehen von Kindern und Jugendlichen in politische Aktionen sei eine „absolut unzulässige Verletzung der bürgerlichen Rechtsordnung“, für die die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Zwar gestand er soziale Probleme und Korruption als Problem ein, aber das sei kein Anlass, „Jugendliche aufzurufen, auf die Straße zu gehen“. Außerdem zog er eine Parallele zur Revolution von 1917, an der „ebenfalls“ Kräfte aus dem Ausland beteiligt gewesen seien.

Während sich zahlreiche Geistliche im Internet und den sozialen Medien teils mit drastischen Worten zum Thema äußerten, gab es auch einige differenzierte Stimmen. So kritisierte Erzpriester Maxim Kozlov, ein Mitglied des Obersten Kirchenrats der ROK, am Fernsehen den Mangel positiver Perspektiven in Russland. Die Proteste zeigen seiner Ansicht nach, dass die „Solidarität in der russischen Gesellschaft mehrheitlich eine Illusion ist“, mit dem aktuellen gesellschaftspolitischen Klima seien nicht alle zufrieden. Zwar würden die Pandemie und die Einschränkungen zu ihrer Eindämmung sich auf die Stimmung auswirken, das Hauptproblem sei aber das Fehlen eines „klaren positiven Projekts“ für das Land. Dieses Gefühl sei bei jungen Menschen besonders verbreitet, glaubt Kozlov.

Alexander Schtschipkov, der stellv. Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen der Kirche zu Gesellschaft und Medien, bezeichnete die Angehörigen der Sonderpolizei OMON als den „besten Teil der russischen Jugend“. Diese würden ihre Gesundheit opfern, um „uns zu beschützen“. Überhaupt verhielten sich die Sicherheitskräfte „äußerst korrekt und vorsichtig“. Er verwies zudem darauf, dass an den Protesten gar nicht viele junge Menschen teilgenommen hätten. Daher sei es falsch, die Jugend als oppositionell darzustellen. Auch er verwies auf die Rolle der sozialen Netzwerke, aus denen eine „Flut der Propaganda“ sich auf die Kinder ergossen habe, es sei eine „totale Wäsche von Kindergehirnen“. Dabei gehe es darum, Alexej Navalnyj – einen „Agenten des Einflusses“ des Westens – bekannt zu machen. Das geschehe jetzt, weil die Jugendlichen 2024 erstmals wählen könnten, glaubt Schtschipkov. (NÖK)

The Navalny Protests and Orthodoxy’s A-Political Theology
Blog shishkov rok und proteste

Angesichts der Proteste, die Alexej Navalnyjs Verhaftung nach seiner Rückkehr nach Russland ausgelöst hat, wird deutlich, dass der Orthodoxie eine angemessene Sprache fehlt, um über politische Ereignisse zu diskutieren, erklärt Andrey Shishkov.


Archimandrit Savva Mazhuko zum Offenen Brief russisch-orthodoxer Priester
MazhukoEine Gruppe von Priestern der Russischen Orthodoxen Kirche hat einen offenen Brief zur Unterstützung der Angeklagten und Verurteilten im sog. Moskauer Fall veröffentlicht. Archimandrit Savva erklärt, weshalb er unterschrieben hat und wie die Reaktionen ausgefallen sind.

Unorthodox Appeal: Russian Priests Defend Moscow Protesters
Carnegie artikel luchenko offener brief priesterArtikel von Ksenia Luchenko
24. September 2019
Carnegie Moscow Center

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