Georgien: Missbrauchsvorwürfe gegen Waisenhaus der orthodoxen Kirche

17. Juni 2021

Seit längerem debattierte Missbrauchsvorwürfe gegen ein Waisenhaus der Georgischen Orthodoxen Kirche (GOK) haben zur Evakuierung eines Teils der Kinder geführt. Nachdem der georgischen Ombudsfrau und ihrem Büro der Zugang zur Institution wiederholt verwehrt worden war, entschied das Stadtgericht Tbilissi am 5. Juni 2021 dem Antrag einer georgischem NGO für Kinderrechte zu folgen und anzuordnen, dass ein Teil der Kinder aus dem Waisenhaus gebracht wird.

Der Gerichtsentscheid gilt nur für Kinder mit Behinderungen, da die betreffende NGO nur in deren Interesse handeln dürfe, bei den anderen Kindern müsse die staatliche Fürsorge die Initiative ergreifen. Eine Vertreterin der NGO betonte, der Entscheid zeige trotz der Einschränkung, dass die Kinder im Waisenhaus von Ninotsminda gefährdet seien. Am 4. Juni hatte zudem die staatliche Fürsorgebehörde erklärt, sie habe bereits sechs Minderjährige auf deren Wunsch umplatziert, nachdem ihre Mitarbeitenden Zugang zum Waisenhaus erhalten hatten. Weitere zehn Kinder sollten das Waisenhaus ebenfalls bald verlassen. Insgesamt leben 57 Minderjährige in der Institution des georgischen Patriarchats im Süden Georgiens.

Berichte über schlechte Bedingungen und Missbrauch im Waisenhaus von Ninotsminda hatten zu einer wochenlangen Kontroverse geführt, unter anderem protestierten am 1. Juni rund 100 Personen vor der Kanzlei der Regierung. Sie verlangten, dass die Zustände in der Institution untersucht und die Ergebnisse öffentlich gemacht werden. Gegenüber Medien erhoben mehrere Personen, die als Kinder im Waisenhaus von Ninotsminda gelebt hatten, schwere Anschuldigungen, sie seien dort misshandelt und missbraucht worden. Die Kritik von NGOs verstärkte sich zusätzlich, als am 3. Juni das Innenministerium bestätigte, dass seit 2016 vier Untersuchungen wegen Missbrauch gegen die Institution eingeleitet worden seien. Drei betrafen Gewalt gegen Minderjährige, die vierte die mutmaßliche Vergewaltigung eines Minderjährigen, alle wurden wegen mangelnder Beweise eingestellt.

Nino Lomjaria, die Ombudsfrau, erklärte, dass die Kontrolleure ihre Büros zuletzt 2018 das Waisenhaus besucht hätten. Damals seien sie von den Betreuern gezwungen worden, die Institution zu verlassen, nachdem sie versucht hätten, mit den Kindern Einzelgespräche zu führen. Danach habe der Leiter der Institution ihrem Büro den Zutritt verweigert, obwohl ihr Mandat ihr gesetzlich erlaube, jeden geschlossenen Raum zu betreten und überwachen. Zudem hätten zwei staatliche Beurteilungen seit 2017 festgestellt, dass das Waisenhaus gegen die Bestimmungen zum Schutz der Bewohner*innen vor Infektionskrankheiten, Zuteilung von Essen und Freizeit sowie der Höchstzahl von Kindern pro Zimmer verstoße. Auch die staatliche Fürsorgebehörde berichtete, dass sie zwischen Juni 2020 und April 2021 keinen Zutritt zum Waisenhaus erhalten habe. Inzwischen seien Sozialarbeiter*innen vor Ort, um die Situation der noch nicht transferierten Kinder zu beurteilen.

Der Leiter des Waisenhauses, Metropolit Spiridon (Abuladze) von Schalta, ist für seine offen homophobe Meinung bekannt. So lehnt er jegliche Besuche Lomjarias ab, da sie angeblich gleichgeschlechtliche Ehen befürworte. So jemanden in die Nähe der Kinder zu lassen, wäre ein schwerer Fehler, erklärte er am 17. April. Am 14. Mai bezeichnete er die Ombudsfrau als „blind und taub“ und fragte, wen sie kontrollieren wolle, da sie „nicht einmal weiß, ob sie ein Mann oder eine Frau ist“. Metropolit Nikolosi (Patschuaschwili)von Akhalkalaki zweifelte im Mai die Qualifikationen der Ombudsfrau und ihrer Vertreter an. Der GOK müsse zunächst zugesichert werden, dass die Kontrolleure „angemessen vorbereitet“ seien. Im April hatte Erzpriester Andira Jagmaidze, der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der GOK, behauptet, Lomjaria „fehlt die Befugnis“, das Waisenhaus zu besuchen, weil sie sich über die GOK häufig „unausgewogen“ äußere.

Die GOK erklärte zudem am 6. Juni, Berufung gegen den Entscheid des Stadtgerichts Tbilissi einlegen zu wollen. Es seien keine Beweise für Misshandlung und Gewalt gegen die Kinder vorgelegt und die Situation sei nicht von „kompetenten Spezialisten“ beurteilt worden. Die „überstürzte“ Verlegung der Kinder sei keinesfalls in deren Interesse und widerspreche dem Schutz ihrer Rechte. Außerdem sei sie nie über die Hinderungen der Ombudsfrau an einem Besuch informiert worden. Aber nun seien Sozialarbeiter*innen vor Ort, und die GOK werde weiterhin mit den Behörden kooperieren.

Während der Ombudsfrau und ihrem Team der Zugang verweigert wurde, besucht Metropolit Seraphim (Djodjua), der eines sexuellen Übergriffs auf ein Mädchen beschuldigt wird, regelmäßig die Institution. Auch Vertreter der Regierungspartei Georgischer Traum besuchten am 5. Juni das Waisenhaus. Nachdem die Kritik, die Regierung bleibe in der Frage aus Loyalität zur Kirche passiv, sich gehäuft hatte, verteidigte der Vorsitzende des Georgischen Traum das Vorgehen. Natürlich wolle man die Beziehungen zur GOK nicht „verderben“, „harte Aussagen sind keine Lösung“ und sowohl Kinderrechte wie auch die Kirche seien „heikle“ Angelegenheiten.

Die ersten Berichte über die Zustände in Ninotsminda tauchten vor sechs Jahren auf. 2015 beschrieb die damalige Ombudsfrau in einem Bericht ein strenges Strafregime, bei dem den Kindern Essen verweigert wurde, sie ihr Zimmer nicht verlassen oder in den Gängen auf den Knien gehen mussten. Die GOK spielte die Vorwürfe herunter, damals seien einige Lehrer „etwas streng“ gewesen, diese seien aber nicht mehr in der Institution beschäftigt. (NÖK)