„Der Besuch des Papstes kann zum Abbau von Ängsten beitragen“

02. Dezember 2021

Vom 2. bis 6. Dezember besucht Papst Franziskus zuerst Zypern und dann Griechenland. Wie blickt die Bevölkerung der beiden mehrheitlich orthodox geprägten Länder dem Papstbesuch entgegen?
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung beider Länder gehört der Orthodoxen Kirche an (Zypern um 90 Prozent; Griechenland um 95 Prozent); gleichzeitig lässt sich die fortschreitende Säkularisierung nicht übersehen. Beide Länder sind EU-Staaten, bezeichnen sich gerne als gastfreundlich und sind es auch. Kleine, wenn auch lautstarke ultrakonservative Kreise mögen sich über den Papstbesuch aufregen, aber Massenproteste sind nicht zu erwarten. Allerdings auch keine Massenbegeisterung, denn die Anzahl der Katholiken in beiden Ländern ist sehr klein (Zypern um 3,5 Prozent, Griechenland um 1 Prozent).

Als Johannes Paul II. 2001 als erster Papst in der Geschichte Griechenland besuchte, war der Widerstand orthodoxer Hardliner, vor allem von – schismatischen – Altkalendariern, stark. Sein Besuch hat jedoch entmythologisierend gewirkt: Nicht der gefürchtete mächtige „Antichrist“ der Fundamentalisten war gekommen, sondern ein gebrechlicher, bescheidener und freundlicher alter Mann, der sich sogar für das Verhalten von Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche, beginnend mit den Kreuzzügen, gegen die Orthodoxen öffentlich entschuldigte – ein Akt, worauf die Orthodoxie jahrhundertelang gewartet hatte. Die Jesus-Bücher von Papst Benedikt XVI., eines ausgewiesenen Kenners der Orthodoxie, der theologisch der Ostkirche nahesteht und 2010 als erster Papst Zypern besuchte, sind in Griechenland Bestseller geworden. Auch Franziskus, der zum zweiten Mal nach Griechenland kommt, diesmal sogar im 200. Jubiläumsjahr des Beginns des griechischen Befreiungskampfes, hat wiederholt seine Solidarität gegenüber den Zyprioten und Griechen während der Finanz- und Flüchtlingskrise gezeigt: Mit seiner Kapitalismuskritik und seinen ökologischen Impulsen können sich in beiden Ländern viele identifizieren. Dieser Besuch findet in einer Zeit statt, wo sich diese Länder von der Türkei besonders bedroht fühlen. Auch wenn der Papst in seinen Äußerungen sehr vorsichtig sein wird, wird seine Präsenz als Zeichen von Solidarität geschätzt.

Bereits im Vorfeld gab es einzelne kritische Stimmen aus der Orthodoxen Kirche von Griechenland zum Papstbesuch. Wie wirkt sich die Reise des Papstes auf die ökumenischen Beziehungen aus?
In den orthodoxen Kirchen von Zypern und Griechenland wird die Meinungsfreiheit respektiert und synodal erlebt. Es sind Kirchen, in denen demokratische Elemente eine starke Rolle spielen, wie auch die Entscheidungsfindung zur Anerkennung der Orthodoxen Kirche der Ukraine gezeigt hat. Mit anderen Worten: Auch Widerspruch und Kritik dürfen öffentlich zum Ausdruck gebracht werden, im Gegensatz zu anderen orthodoxen Kirchen, wo dies schlicht verboten ist und sanktioniert wird. Insofern ist es gut, dass Sorgen und Kritik, auch wenn sie nicht berechtigt sind, öffentlich vorgetragen werden können. Es ist allerdings interessant, dass kurz vor dem Besuch des Papstes die lautesten Antiökumeniker unter den Bischöfen in Zypern und Griechenland verhältnismäßig leise sind.

Mit Blick auf die ökumenischen Beziehungen sollte man auf nur Frustration erzeugende maximalistische Erwartungen verzichten. Die theologischen Unterschiede zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche sind nicht zu unterschätzen, viel muss noch zur Heilung der Erinnerungen geschehen. Der Besuch des Papstes kann aber zum Abbau von Ängsten beitragen und zur Etablierung festerer Strukturen des ökumenischen Austausches. Möge er ein genaueres Hinschauen in die zypriotische und griechische Geschichte und Gegenwart anspornen: Wie viele wissen denn, dass ein wichtiger Teil der Bevölkerung beliebter Kykladen-Inseln wie Syros und Tinos römisch-katholisch ist? Ich meine nicht griechisch-katholische, sondern griechische römisch-katholische Christen mit einer sehr spannenden eigenen Kultur. Oder lässt sich die Geschichte Zyperns überhaupt verstehen, ohne das lateinische Erbe zu berücksichtigen, dass an jeder Ecke sichtbar ist?

Wie stellt sich die ökumenische Lage vor Ort in Griechenland dar?
Zahlen schaffen Fakten: Griechenland und Zypern gelten als fast monokonfessionelle Länder. Es fehlt ein zahlenmäßig starkes nicht orthodoxes Gegenüber, das mit seiner Andersheit, Kritik und Schätzen die Notwendigkeit der Ökumene deutlich macht. Viele sprechen über andere Konfessionen, ohne ein einziges Mal mit einem Mitglied einer anderen Kirche geredet zu haben. Auch ich habe es erst mit 26 Jahren geschafft, als ich nach Deutschland gekommen bin. In einem monokonfessionellen Kontext spürt man nicht den existentiellen Bedarf nach ökumenischem Dialog, wie dies z. B. in Deutschland oder der Schweiz der Fall ist.

Dazu muss man den starken Einfluss antiökumenisch gesinnter Mönche, besonders bestimmter Athos-Klöster und slawisch-orthodoxer Traditionen berücksichtigen, die sich als authentisch-spirituell und genuin orthodox stilisieren und über die finanziellen Mittel verfügen, um durch Sendungen, Publikationen oder Pilgerfahrten ihren antiökumenischen Standpunkt stark zu machen. So antworten sie auf Identitätsängste und befriedigen bestimmte Eigeninteressen. Selbstlosigkeit gehört nämlich nicht zu den Stärken des Antiökumenismus.

Erzbischof Hieronymos II. (Liapis) von Athen gilt innerkirchlich als Brückenbauer. Mit seiner Politik der Toleranz gegenüber extrem antiökumenisch gesinnten Klerikern und Theologen möchte er zur Entschärfung von Konflikten beitragen. Auch wenn dies psychologisch gesehen berechtigt sein mag, besteht die Gefahr, dass am Ende Ansichten salonfähig werden, die gegen interorthodoxe Synodalbeschlüsse sind. Ähnliches gilt für ultranationalistische und antisemitische Stimmen, sogar Stimmen von Hasspredigern, die ohne Konsequenzen die Atmosphäre vergiften. Die Ständige Synode der Kirche Griechenlands hat einen kanonischen Prozess gegen zwei Metropoliten eingeleitet, die mutmaßlich gegen die offizielle Position der Kirche zur Corona-Pandemie agiert haben. Sie hat diesen ungewöhnlichen Schritt u. a. mit dem Verstoß gegen Synodalbeschlüsse begründet. Leider aber hat sie bis jetzt nicht mit ähnlicher Konsequenz auf höchstprovokative Aussagen von Bischöfen und Klerikern reagiert, die Beschlüsse des Heiligen und Großen Konzils von Kreta demonstrativ ablehnen, vor allem was die Ökumene betrifft.

Außerdem muss die orthodoxe Theologie noch Hausaufgaben machen: Jahrzehnte- wenn nicht jahrhundertlang gefangen in einem antiwestlichen Denken hat sie erst jetzt begonnen, nach dem theologisch würdigen Platz des heterodoxen Anderen zu fragen. Die ökumenische Herausforderung für die Orthodoxie liegt an ihrem Namen: Was ist derjenige Christ, der nicht orthodox ist? Heterodox gleich Häretiker? Die fundamentalistische Antwort ist einfach, aber sie ist bestimmt nicht das letzte Wort der orthodoxen Theologie.

In Griechenland gibt es keinen nationalen ökumenischen Rat. Die einzige institutionelle Möglichkeit zur Zusammenarbeit von Gläubigern verschiedener Konfessionen bietet die Griechische Bibelgesellschaft an. Dank der Arbeit der Theologischen Akademie von Volos, ökumenisch offener Theologieprofessorinnen und -professoren und der biblischen Stiftung „Artos Zois“ hat sich auf der Ebene der akademischen Theologie in den letzten Jahren viel geändert. Als ich vor 20 Jahren noch Student war, war es fast unvorstellbar, mit griechischen katholischen und evangelischen Theologinnen und Theologen an einem Tisch zu sitzen und zu diskutieren. Heute ist dies nicht nur möglich, sondern auch (fast) selbstverständlich.

Wie bereits 2016 wird Papst Franziskus auch die Insel Lesbos besuchen und dem Thema Flucht und Migration besondere Aufmerksamkeit widmen. Welche Erwartungen verbinden sich damit in der griechischen Öffentlichkeit?
Viele Griechen fühlen sich von Europa bei der Herausforderung von Flucht und Migration im Stich gelassen, insbesondere nach der Erfahrung einer katastrophalen Finanzkrise, der jetzt die pandemische Situation folgt. Die Angst vor dem Verhalten der Türkei, das als immer aggressiver wahrgenommen wird, nimmt ebenfalls zu. Man denkt, dass das Nachbarland Flucht und Migration instrumentalisiert, um Druck auf die EU auszuüben, freilich auf Kosten Griechenlands. Gleichzeitig ist das Drama der Flüchtlinge und Migranten derart evident, dass man davor die Augen weder verschließen darf noch kann. Trotz der massiven Herausforderung der letzten Jahre haben rechtsradikale Stimmen in der griechischen Gesellschaft nicht an so viel politischer Macht gewinnen können, wie sie in anderen EU-Länder leider genießen. Wenn der Papst über Flucht und Migration spricht, ist zu wünschen, dass seine Beiträge der Komplexität des Problems Rechnung tragen und gleichzeitig die Notwendigkeit der europäischen Solidarität hervorheben. Flucht und Migration sind sowohl eine gesamteuropäische als auch eine genuin ökumenische Herausforderung. Starke europäische und ökumenische Strukturen sind nötig, um das Leiden von unzähligen Menschen zu mildern.

Georgios Vlantis, M. Th. ist Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bayern und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theologischen Akademie von Volos.

Bild: Bereits 2016 besuchte Papst Franziskus mit Erzbischof Hieronymos II. das mittlerweile abgebrannte Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. (© Keystone)