Dr. Iso Baumer – ein engagierter Schweizer Katholik mit Liebe zu den Ostkirchen: Ein Nachruf

02. Dezember 2021

Barbara Hallensleben

Am 18. November 2021 verstarb im Hospital in Riaz der langjährige Lehrbeauftragte für Ostkirchenkunde an der Universität Fribourg (1988-1999) und an der Theologischen Schule der Abtei Einsiedeln (2002-2008) im Alter von 92 Jahren (* 4.4.1929). Bis zu seiner Pensionierung 1999 war er Mitglied im Institut für Ökumenische Studien und blieb dem Institut und seinem Zentrum für das Studien der Ostkirchen auch später eng verbunden. Von 1994 bis 2000 war er darüber hinaus Generalsekretär der „Catholica Unio Internationalis“. Das Requiem findet am Mittwoch, 24. November 2021, um 14h30 in der Franziskanerkirche statt (Rue de Morat 6, 1700 Freiburg).

Einen Schwerpunkt innerhalb der vielseitigen Interessen und Forschungsbereiche von Iso Baumer bildeten die Ostkirchen, mit einer besonderen Aufmerksamkeit für die Armenische Apostolische Kirche. Doch sein reger Geist blieb offen für eine Vielzahl von theologischen und interdisziplinären Themen. Davon zeugt eine unermüdliche Publikationstätigkeit, die Pflege eines großen Netzwerks von Gesprächspartnern, eine großzügige Hilfsbereitschaft, nicht zuletzt gegenüber Studierenden, und ein wacher Blick für die Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft, die er gern und durchaus mit spitzer Feder in verschiedenen Presseorganen kommentierte. Persönlich verwurzelt war er in der Katholischen Kirche des II. Vatikanischen Konzils, was ihn nicht hinderte, kritische Rückfragen an die nachkonziliaren Entwicklungen zu stellen. Vor allem aber charakterisierte ihn eine bescheidene, stets herzlich zugewandte Freundlichkeit, die in der Gelassenheit, mit der er seine Altersbeschwerden trug, noch wuchs. Selbst im hohen Alter und ohne offizielle Verpflichtungen war er häufig der erste, der auf Mitteilungen aus der Universität mit Interesse reagierte.

Glücklich verheiratet war Iso Baumer seit 1959 mit Verena (Vreni) Müller, der Tochter des Freiburger Rechtshistorikers Emil Franz Josef Müller-Büchi, der als Professor der Universität den Bereich der Publizistik aufbaute, nachdem er 1930 bis 1954 Redaktor und anschließend Direktor der Katholischen Internationalen Presseagentur gewesen war. Der regelmäßige Austausch mit seiner großen Familie – darunter auch sein Bruder Beda Baumer, Mönch im Kloster Einsiedeln – und der wachsenden Zahl von Enkelkindern war stets seine Freude und sein Stolz. Nicht zufällig wählte er für den Sammelband ausgewählter Aufsätze, den ihm das Institut für Ökumenische Studien zu seinem 70. Geburtstag offerierte, den Titel „Begegnungen“, gegliedert in „I. Begegnungen zwischen Wissenschaften“, „II. Begegnungen mit Menschen“ (darunter Josef Pieper, Gabriel Marcel, Ferdinand Ebner, Antonio Gramsci, Hans Urs von Balthasar, John Henri Newman und Louis Massignon, die in Aufsätzen behandelt werden; zusätzlich erwähnt werden Platon und Thomas von Aquin, Karl Jaspers, Fernand Brunner, Jean-Claude Piguet, Ferdinand Gonseth, Emmanuel Levinas, Teilhard de Chardin, Carlo Sganzini), „III. Begegnungen zwischen Kirchen“. Das beigefügte Verzeichnis der Veröffentlichungen 1949-1999 umfasst 50 Seiten mit ca. 700 Titeln, darunter gut ein Dutzend Bücher, und es wuchs in den letzten zwanzig Jahren nicht unerheblich an.

Geboren am 4. April 1929 in St. Gallen, wurde Iso Baumer seiner Ausbildung nach nicht Theologe, sondern studierte Sprachwissenschaft und Volkskunde in Bern, Fribourg, Paris (Sorbonne) und Rom, später auch einige Jahre Philosophie (1960-1962). In seinen Worten: „Die Umstände wollten es, dass ich trotz unproblematischer kirchlicher Sozialisation und theologischem Interesse nicht dieses Fachstudium wählte, sondern mich der romanischen Sprach- und Literaturwissenschaft, vor allem der französischen und italienischen, zuwandte, mit dem erklärten Ziel, später als Lehrer zu wirken. Dass ich innerhalb dieses weiten Bereichs als Spezialgebiet das Rätoromanische auslas, hatte wieder mit biographischen ‚Zufällen‘ zu tun, doch zeichnete sich damit schon eine eigentümliche Vorliebe für das jeweils Kleinere und (anscheinend) Unbedeutendere ab, die immer wieder durchbrach“ (Begegnungen, 9), 1956 wurde er mit dem Thema „Rätoromanische Krankheitsnamen“, 1962 publiziert, zum Dr. phil. promoviert. Von 1958 bis 1994 war er als Gymnasiallehrer tätig, doch bereits während dieser Zeit nahm er Lehraufträge an verschiedenen Universitäten wahr, z.B. für Fachdidaktik des Italienischen (Bern 1985-1993).

Der besonderen Aufmerksamkeit für die Ostkirchen ging die früh erfahrene Plurikonfessionalität in St. Gallen voraus: „da standen sich Katholiken und Reformierte durchaus nicht immer friedlich gegenüber, aber man befasste sich jedenfalls miteinander; die Christkatholiken waren präsent, mindestens ihre hoch über die Stadt heruntergrüßende Kirche, ebenso die Synagoge, die ich schon als Hebräisch lernender Gymnasiast am Laubhüttenfest besuchte“ (Begegnungen, 11). Iso Baumers Beschäftigung mit den Ostkirchen begann in seinem 20. Lebensjahr, als er einen katholischen Priester des byzantinischen Ritus in seine Heimatpfarrei zu einem Vortrag und einer Liturgie einlud. Die Aufmerksamkeit war geweckt, wenn auch das tiefere Studium der Ostkirchen erst um 1980 begann. Die erste größere Arbeit – vielleicht seine „erste Liebe“? – galt der „Ehrenrettung“, wie Iso Baumer selbst es formuliert, des Prinz Max von Sachsen. Dieser war 1900 bis 1911 an der Theologischen Fakultät tätig, bis ihm im Modernismusstreit die Venia legendi für Kirchenrecht entzogen wurde, 1921-1951 war er Professor der Philosophischen Fakultät. Ein großer Teil der Forschungs- und Lehrtätigkeit von Prinz Max galt den Ostkirchen, und er legte damit den Grundstein für die über 100jährige Tradition der Aufmerksamkeit für die Schwesterkirchen des Ostens an der Universität Freiburg Schweiz. Aus Iso Baumers Studien wurde ein dreibändiges Standardwerk, das ihn nach seiner Aussage „15 Jahre lang in Atem hielt“ (Wegzeichen, 19) und dessen Bände 1990, 1992 und 1996 erschienen.

Im Alter von 75 Jahren übernahm Iso Baumer eine weitere große Studie, die viel Sachkenntnis und einen langen Atem erforderte: Mit dem ekklesiologisch aussagekräftigen Titel „Von der Unio zur Communio“ publizierte er 2002 eine über 500 Seiten umfassende Darstellung der Geschichte der „Catholica Unio“ (1924-1999), die nach dem Ersten Weltkrieg zunächst ein sehr fragwürdiges Konzept der „Mission“ der Ostkirchen propagiert hatte. Der Schweizer Kirchenhistoriker Viktor Conzemius hebt lobend hervor, Iso Baumer habe den „Weg von utopischen Unionsprojekten zur bewussten Communio sachlich nachgezeichnet, ohne den Überschwang der Pioniere im Nachhinein besserwisserisch bloßzustellen“ (NZZ, 5.4.2003).

Bezüglich seiner eigenen Lehrtätigkeit zu den Ostkirchen nennt Iso Baumer sich einen „spätberufenen Dozenten“ (Wegzeichen, 18): Während seiner langen Abwesenheiten in Rom zur Redaktion des „Katechismus der Katholischen Kirche“ berief der Freiburger Dogmatik-Professor Christoph von Schönborn o.p. Iso Baumer zum Lehrbeauftragten für Ostkirchenkunde. Angesichts seiner Ausbildung verzichtete Iso darauf, seinen Lehrauftrag der „Theologie der Orthodoxie“ zu widmen. Bei seiner Abschiedsvorlesung 1999 umschrieb er seine Zielsetzung wie folgt: „Meine Aufgabe sah ich also darin, ein paar Grundkenntnisse und eine ungetrübte Sicht auf die komplizierten Verhältnisse und ihre Geschichte zu vermitteln. Großen Wert legte ich auf die Verbindung zwischen Lehre und Spiritualität. Jede Stunde wurde mit einem Gebet aus einer der Ostkirchen verbunden – ich pflegte dazu jeweils zu sagen, wer es innerlich als Gebet nachvollziehen und mitbeten könne, möge es tun, wer nicht, möge es als passendes Zitat auffassen. Weiter sollte der Unterricht anschaulich sein: darum brachte ich nicht nur Bildmaterial aus Büchern mit, sondern auch echte Dokumente, etwa alte Ikonen, die die Studenten anschauen, berühren, meditieren konnten; aber auch alles, was zu den sogenannten Devotionalien gehört, deren Bedeutung für die Volksfrömmigkeit ich aufzeigen konnte, sowie Schriftenstand-Literatur; darin findet man oft überraschende Hinweise auf den durchschnittlichen Wissensstand, der neben der hohen Theologie auch mit zu berücksichtigen ist. Meine Vorlesungen waren genährt von den vielfältigen Erfahrungen auf Reisen in den christlichen Orient, aus der Teilnahme an der ostkirchlichen Liturgie seit Jahrzehnten, aus den Begegnungen mit Ostchristen aller Kirchen – orthodoxer und mit Rom in Communio stehender. Diese vielfältigen Erfahrungen erlaubten mir eine unauslöschliche Vertiefung in eine christliche Tradition, die von uns nicht als solche übernommen werden müsste, wohl aber uns anhalten sollte, unsere eigene westkirchliche Tradition neu zu überdenken und v.a. unsere eigene Spiritualität zu vertiefen. Ich halte wenig von einer Vermischung, wohl aber viel von einem Lernen voneinander“ (Wegzeichen, 18-19).

Nach seiner Pensionierung schlug Iso Baumer neue Entdeckungswege ein, an denen er jeweils anderen durch seine Publikationen Anteil gab: eine Studie über „Die Ostkirche im Werk Edzard Schapers“ (2000), Beiträge über die Mönche von Tibhirine und ihr Glaubenszeugnis (2001, 2008 und 2010), ein ebenso mühevoll wie liebevoll erstellter Band mit Übersetzungen des armenischen Theologen Nerses von Lambron mit dem Untertitel „Die Ungeduld der Liebe“ (2013) – und schließlich, als Résumé seines dreibändigen wissenschaftlichen Werkes, eine Kurzbiographie über Prinz Max von Sachsen auf knapp 80 Seiten unter dem Motto „Frieden schenken“ (2015).

Iso Baumers Mitteilungen der letzten Wochen und Monate seines Lebens zeigen, dass er in heiterer Gelassenheit sein Ende nahen fühlte. Seine reichhaltige Dokumentation zu Hans Urs von Balthasar und Adrienne von Speyr, aus der er 2005 anlässlich des 100. Geburtstags von Balthasar im Tagungsband „Letzte Haltungen“ (= SOF 48, erschienen 2006) einen substantiellen Artikel über „Hans Urs von Balthasar und Kuno Raeber“ beigesteuert hatte, übergab er einem weiteren Mitglied im Direktorium des Instituts für Ökumenische Studien, Herrn PD Dr. Uwe Wolff. Dessen erste eigene Studie zu Balthasar und Adrienne wurde an Iso Baumer Todestag publiziert. Iso war stets darum besorgt, das, was ihm selbst am Herzen lag, weiterzusagen und weiterzugeben. So stiftete er großzügig einen erheblichen Teil seiner Forschungsbibliothek zu den Ostkirchen der Universität Freiburg, die sie als „Fonds Baumer“ in die Universitätsbibliothek integrierte. Iso Baumer hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, dass im Jahr 2017 am Institut für Ökumenische Studien sein Forschungsbereich eine institutionelle Eigenständigkeit im „Zentrum für das Studium der Ostkirchen“ erhalten konnte.

Das letzte Wort soll Iso Baumer selbst gegeben werden. Er trug es in seiner Abschiedsvorlesung als Wort des Dankes vor: „Schließlich habe ich einen Dank zu sagen. Neben Gott – aber wie kann man Gott neben andere stellen? –, der mir mit 20 Jahren die Augen für die Ostkirchen geöffnet hat, denen ich durch alle Etappen meines familiären, beruflichen, kirchlichen Lebens treu geblieben bin, danke ich all denen, die mich auf meinen vielen Wegen begleitet haben. Ich kann nicht alle Personen aufzählen, die es verdienen würden. Ich denke mit Dankbarkeit an meine Familie, meine Frau, meine Kinder und alle weiteren Angehörigen. Ich denke an meine Vorgänger als Dozenten für Ostkirchenkunde, Prinz Max von Sachsen, Professor Raymund Erni, Kardinal Christoph Schönborn – aber auch an das Institut für Ökumenische Studien. Es war mir immer sehr sympathisch, nicht nur weil die Zusammenarbeit mit allen Mitgliedern sehr bereichernd war, sondern auch weil seine Abkürzung (ISO = Institutum Studiorum Oecumenicorum) gleich lautet wie mein Vorname. Das bringt mich auf meinen Namenspatron, den seligen Iso aus dem Kloster St. Gallen, der genau 1100 Jahre vor mir geboren wurde. Ich bin ihm schon mit 14 Jahren nachgegangen und habe ihn, sein Leben und seine Werke, damals genau studiert. Seine Schüler Notker, Ratbert und Tuotilo wurden viel berühmter als er. Mir ist es recht, wenn meine Schüler, die berühmteren und die weniger berühmten, die Ostkirche nicht vergessen. Prinz Max hat schon gesagt, auf die Person komme es weniger an, wenn nur die Sache gedeihe. Ihr habe ich gerne einen Teil meines Lebens gewidmet“ (Wegzeichen, 22).

Belege:
• Iso Baumer, Begegnungen. Gesammelte Aufsätze 1949-1999 (= Ökumenische Beihefte 36), Freiburg Schweiz 1999 (zit. als: Begegnungen).
• 100 Jahre Ostkirchenkunde an der Universität Freiburg / 100 ans de recherches et d’enseignement sur les Églises orientales à l’Université de Fribourg (= Repères œcuméniques – Ökumenische Wegzeichen 3), Freiburg Schweiz 2002 (zit. als: Wegzeichen).